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Notruf 110 / 112 – eine gute Wahl? (2)

Öffentliche Sicherheit muss gegeben sein

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Auf einen Blick

Standort vom mobilen Endgeräten An die Leitstelle wird nur die Funkzelle übertragen. GPS-Daten dürfen nicht verwertet werden ETSI-Standard hat Vorrang: Mobile Sprachnotrufe 112 haben Vorrang gegenüber allen anderen Sprachnotrufen In Entwicklung: Messagingservices Es bedarf der Entwicklung eines praktikablen textbasierten bzw. barrierefreien mobilen Notrufs

Zu Teil 1: Welche Randbedingungen bestimmen die Technik des Notrufs Der Notruf ist in Deutschland durch das Telekommunikationsgesetz rechtlich geregelt. Die Technik dazu war im bisherigen Fernsprechnetz PSTN fest eingebunden. Mit dem Übergang zum ISDN und dem Hinzukommen von Mobilfunknetzen ergaben sich neue Fragen, die hier beschrieben werden. Die Schwerpunkte dieses Beitrags befassen sich mit den Standortdaten und der Einbindung der Mobilfunknetze.

Standortdaten

Wenn bei einem Notruf der Anrufer der Leitstelle seinen Standort nicht zu nennen vermag, konnte früher die Leitstelle versuchen, von der Rufnummer des Anrufers auf dessen Standort zu schließen. In TK-Netzen, bei denen ein Kunde mit seinem Anschluss bzw. mit seiner Rufnummer von beliebigen Standorten aus kommunizieren kann (Mobilfunknetze oder IP-Festnetze mit nomadischer Nutzungsmöglichkeit), schlägt dieser Ansatz naturgemäß fehl. Die Technische Richtlinie Notruf vom 22.6.2011 beschreibt erstmals, wie »Angaben zum Standort des Notrufenden« als »Notrufbegleitende Informationen« zu übertragen sind (Notruf in IP-Netzen und Anhang N3, Kapitel N3.2.3 der TR Notruf). Zur Umsetzung der Übertragung dieser Standortangaben hatten die betroffenen Unternehmen 18 Monate Zeit. Was ist seitdem geschehen?

Erkennen der Standortdaten im PSTN/ISDN

Gemeint sind hier das bisherige analoge Telefonnetz sowie das ISDN. Die TR Notruf sieht für die »alten« Festnetze eine Ausnahmeregelung vor (Kapitel 8.1.3.3 TR Notruf). Bei Anrufen aus diesen Netzen darf, wie bislang, auf die Übermittlung von Standortinformationen verzichtet werden, weil davon ausgegangen wird, dass bei Anrufen aus einem PSTN-/ISDN-Festnetz die Möglichkeit besteht, aus der Rufnummer des Anrufers die Adresse des Anrufers zu ermitteln (konkret: automatisiertes Auskunftsverfahren nach § 112 TKG, auf das hier nicht näher eingegangen werden soll).

Wo im Mobilfunknetz?

Bild 1: Standortdaten, es wird nur eine Zellinformation aus dem Netz heraus geliefert
Bild 1: Standortdaten, es wird nur eine Zellinformation aus dem Netz heraus geliefert

Die TR Notruf beschreibt bitgenau (Anhang N3 TR Notruf), auf welche Weise in einem ISDN-Netz die Standortdaten an die lokal zuständige Leitstelle mit einem ISDN-Notruf­anschluss zu übermitteln sind (Bild 1). Am Übergang in das ISDN-Netz hat das Mobilfunknetz die Aufgabe, die Parameter so zu setzen, wie es der Anhang N3 definiert. Unter Federführung der Telekom haben die vier deutschen Mobilfunknetzbetreiber in den Jahren 2010/2011 eine gemeinsame »Mobilfunklösung« erarbeitet, um Standortdaten des Notrufenden an die zuständige Leitstelle übermitteln zu können. Bis Ende 2012 wurde die Lösung von allen beteiligten Providern umgesetzt. Zu diesem Termin wurden also erstmals Standortdaten bei mobilen Notrufen übermittelt. Was aber beinhaltet diese »Mobilfunklösung«? Alle Notrufe aus den vier Mobilfunknetzen werden zunächst zum Telekom-Mobilfunknetz geführt. Dieses stellt den Netzübergang ins Telekom-ISDN-Netz sicher. Mittels eines IN (Intelligent Network)–Systems werden die Mobilfunkparameter in ISDN-Parameter gemäß TR Notruf umgesetzt. Die Standortdaten basieren auf der Funkzelle, in der der Notruf aufgebaut wurde. Auf diese Weise kennt die Leitstelle diese Funkzelle, auch wenn der Notrufende etwa nach einem Unfall nicht in der Lage ist zu sprechen oder wenn er schlicht seinen Standort nicht kennt (nachts irgendwo auf der Landstraße ...). Mit Hilfe geeigneter grafischer Informationssysteme kann sich die Leitstelle aus den ihr vom Mobilfunknetzbetreiber parallel zum Notruf oder ggf. im Nachhinein zur Verfügung gestellten Standortinformationen ein erstes Bild vom Standort des Notrufenden machen. Koordinatengenaue Standortinformationen, also Informationen, die den Standort mit einer geografischen Koordinate (nahezu) exakt benennen, werden nicht übermittelt, selbst wenn das Smartphone des Notrufenden über entsprechende GPS-Daten verfügen sollte. Zum einen gibt es kein standardisiertes Protokoll, wie das Smartphone beim Aufbau eines Notrufs sein Wissen an das Netz bzw. an die Leitstelle weitergeben soll – auch haben Netz oder Leitstelle keine Chance, das Smartphone im Nachhinein nach seinem Standort zu fragen –, zum anderen schreibt die TR Notruf in Kapitel 6.2.3 vor, dass der Standort des Notrufenden vom Telekommunikationsnetz festgestellt wird. Endgeräte­basierte Lösungen zur Standortfeststellung eines Notrufenden sind somit nicht zulässig. Der Hintergrund ist, dass die Bundesnetzagentur befürchtet, manipulierte Standort­daten könnten beispielsweise zu DDoS-Angriffen auf einzelne Leitstellen genutzt werden. Netzbasierte Lösungen zur Lokalisierung, die den Standort eines Mobilfunkteilnehmers präziser als die von ihm bei der Kommunikation genutzte Funkzelle ermitteln können, sind prinzipiell bekannt, werden aber in Deutschland von keinem der vier Mobilfunknetzbetreiber eingesetzt, weil es keinen kommerziellen Anwendungsbedarf gibt, der den enormen Aufwand zu Implementierung solcher Lokalisierungsmechanismen auch nur ansatzweise rechtfertigen würde. Darüber hinaus wären solche Lokalisierungsmechanismen, wenn sie denn im Mobilfunknetz eingerichtet wären, immer verfügbar und nicht auf Notruffälle beschränkbar. Zumindest aus Datenschutzsicht wären Instrumente solcher Mächtigkeit, insbesondere, wenn eine generelle, also auch unabhängig von einem Notrufszenario anwendbare, nahezu koordinatengenaue Lokalisierbarkeit eines Mobilfunkteilnehmers angestrebt würde, höchst bedenklich und nur auf expliziter gesetzlicher Grundlage umsetzbar.

Wie geschieht es im IP-Festnetz?

Hier gilt zunächst – analog zu den Mobilfunknetzen – dass am Übergang in das ISDN-Netz das IP-Festnetz die Aufgabe hat, die Parameter so zu setzen, wie es der Anhang N3 der TR Notruf definiert. In Abschnitt 6.2.3.1 gibt die TR Notruf vor, dass »bei Telefonanschlüssen an Festnetzen ... anstatt der geografischen Koordinate des Standortes des Endgerätes die amtliche Anschrift des Installationsortes des Netzabschlusspunktes angegeben werden« kann. Die Komplexität steigt dadurch, dass in IP-Festnetzen auch nomadische Nutzung möglich ist. Die für Festnetze übliche feste Kopplung zwischen Rufnummer und Standort wird dadurch aufgehoben, es genügt somit nicht, lediglich eine Anschrift aus den Kundenstammdaten, also etwa die Rechnungsanschrift, auszulesen und als Standortdatum an die Leitstelle zu übertragen. Die Telekom hat ihr IP-Festnetz zum 1.7.2015 umgestellt, so dass Routing und die Standortdatenübertragung TR-konform erfolgen. Es sei hervorgehoben, dass die Telekom-Lösung von Anfang an auch eine evtl. nomadische Nutzung mitberücksichtigt. Mit anderen Worten: Für das IP-Festnetz der Telekom hat die Notruflösung eine ähnlich herausragende Bedeutung wie die Mobilfunklösung für den mobilen Notruf.

Technik der Leitstellen

Man muss es leider erwähnen: Der hier genannte regulatorische Rahmen verpflichtet die TK-Unternehmen, innerhalb gewisser Fristen die geforderten Vorkehrungen für das Aufsetzen von Notrufen umzusetzen. Nicht verpflichtet sind hierdurch die Leitstellen, zum selben Termin ihre Technik entsprechend umzurüsten, damit sie etwa die übertragenen Standortinformationen empfangen und auswerten können. Insofern fehlt es an einer koordinierten Vorgehensweise aller Beteiligten. Es ist daher immer wieder – und vielleicht häufiger als wirklich nötig – passiert, dass in manchen Regionen Standort­informationen noch nicht in der Leitstelle ausgewertet werden konnten, obwohl sie dorthin übertragen wurden, und umgekehrt, dass die Technik einzelner Leitstellen umgestellt worden ist, obwohl manche Netzbetreiber die geforderten Standortinformationen noch nicht liefern konnten.

Mobiler Notruf nach ETSI-Standard

Mobile Sprachnotrufe zu 112 (Feuerwehr) werden von den Handys stets als »emergency call« gemäß der »ETSI Technical Specification 124 008« aufgebaut. Dieser emergency call unterscheidet sich von einer üblichen Mobilfunksprachverbindung insbesondere dadurch, dass die Netzauswahl entfällt, wenn das Endgerät noch nicht bzw. nicht mehr eingebucht ist. Insofern kann mittels eines emergency calls die Anforderung aus §  4 Abs. 8 Nr. 2 NotrufV, »dass auch für Teilnehmer anderer Mobilfunknetze Notrufverbindungen unter der europaeinheitlichen Notrufnummer 112 von jedem in seinem Netz technisch verwendbaren Mobiltelefon möglich sind«, erfüllt werden. Es ist in der Tat möglich, einen 112-Notruf abzusetzen, auch wenn das eigene Mobilfunknetz, über das man üblicherweise telefoniert, ausgefallen ist bzw. am momentanen Standort keine Funkversorgung bietet, wenn dort ein anderes Mobilfunknetz verfügbar ist. Der mobile Notruf zu 110 (Polizei) wird üblicherweise als eine normale Sprachverbindung aufgebaut. Der Gesprächsaufbau setzt das Einbuchen ins Netz voraus. Eine Nutzung anderer nationaler Netze entfällt hiermit. § 4 Abs. 8 Nr. 2 NotrufV wäre folglich nicht generell auf 110 übertragbar. Aber: Die genannte Technische Spezifikation wäre grundsätzlich auch auf ­einen 110-Notruf anwendbar, weil die Spezifikation inzwischen die Möglichkeit bietet, das Ziel des Notrufs mittels eines in der Notrufverordnung so genannten »Notdienstkategoriewertes« zu kennzeichnen, wie Polizei, Rettungsdienst, Feuerwehr, E-Call (E-Call wird noch ausführlich besprochen). Aber diese Option der Spezifikation müsste auch umgesetzt werden, und zwar sowohl im ­Mobilfunknetz als auch im Endgerät inklusive der Mobilfunkkarte. Ein erster Schritt ist getan: Laut § 7 Absatz 8 NotrufV müssen die Mobilfunknetze diesen Notdienstkategoriewert auswerten. Für Endgerät und Mobilfunkkarte gibt es allerdings noch keine verbindlichen Regelungen.

Barrierefreier Notruf

Es gibt viele Mitbürger mit beschränkten Sprech- bzw. Hörfähigkeiten. Für diese Mitbürger hat der Gesetzgeber in § 108 Abs. 2 TKG geregelt: »Im Hinblick auf Notrufverbindungen, die durch sprach- oder hörbehinderte Endnutzer unter Verwendung eines Telefaxgerätes eingeleitet werden, gilt Absatz 1 entsprechend«, wobei sich Absatz 1 auf die Notrufsprachverbindungen bezieht. Telefax mag im klassischen Festnetz noch ein gängiges Medium sein. In IP-Festnetzen steigt die Abhängigkeit von Endgerät bzw. Router, so dass es zumindest in Einzelfällen beim Versuch, ein Fax abzusenden, zu Pro­blemen kommen könnte. Ganz schwierig ist es im Mobilfunk. Fax ist hier nur für 2G (GSM), nicht aber für 3G (UMTS) oder 4G (LTE) spezifiziert. Zudem sind GSM-Faxgeräte, wenn sie überhaupt noch angeboten werden, teuer und von der Bauform her wenig geeignet für den mobilen Einsatz. Darüber hinaus unterstützen sie im Regelfall nur Notrufe zu 110, weil der 112-Notruf (emergency call) nur als Sprachnotruf spezifiziert wurde. Immer wieder wurde als mögliche Alternative zum Notruf via Fax ein Notruf via SMS genannt. Das Bundeswirtschaftsministerium (federführend für die Aspekte der öffentlichen Sicherheit im TKG) hat es aber immer wieder abgelehnt, entsprechende Änderungen des § 108 TKG auf den Weg zu bringen. Und zwar aus guten Gründen. Zum einen ist SMS kein Realtime-Service wie Sprache oder Fax, zum anderen wäre ein notrufgemäßes Routing einer Kurznachricht, die an 110 oder 112 adressiert würde, grundsätzlich nicht möglich. Die Kurznachrichten werden im Mobilfunknetz an eine Kurzmitteilungszentrale (Short Message Service Center – SMSC) gesandt und dort zwischengespeichert. Auf dem Weg vom Endgerät zum SMSC wird aber keine Information zur Funkzelle, aus der die Kurznachricht abgesandt wurde, übertragen. Für ein nachfolgendes Routing der Notruf-Kurznachricht vom SMSC zur örtlich zuständigen Leitstelle mangelt es also an der entscheidenden Voraussetzung. Für Ende 2017/Anfang 2018 wird eine Lösung erwartet, die im Wesentlichen den Versorgungsgebieten der Mobilfunkzellen entspricht (Bundesnotrufappserver). Mittels dieser App soll es dem Notrufenden möglich sein, einen Text einzugeben bzw. vorgegebene Textbausteine für eine Notrufnachricht auszuwählen. Sein Text soll dann im Endgerät in Sprache umgewandelt werden, welche mittels eines üblichen Sprachnotrufes zur zuständigen Leitstelle von Polizei bzw. Feuerwehr übertragen wird. Technische Probleme haben allerdings bislang eine Einführung dieser »Text2Voice«-App verhindert. Eine besondere Herausforderung stellt das »Aufbrechen« des Sprachkanals dar. Weil die Endgerätehersteller die Mobilfunktechnik strikt gegen Zugriffe von außen abkapseln (sie müssen es nach entsprechenden Vorgaben der US-Behörde FCC für den dortigen Markt, aber die Endgerätehersteller produzieren einheitliche Weltmarktprodukte, so dass auch die in Deutschland verkauften Endgeräte diesen Anforderungen genügen), muss die Umwandlung des Textes in Sprache über Umwege erfolgen (etwa via Lautsprecher in das Mikrofon oder über den Kopfhörereingang). Es soll auch eine Antwortmöglichkeit geben. Die Leitstelle überträgt hierzu DTMF-Signale (beispielsweise *#23*) an das Endgerät. Hier werden die DTMF-Signale in vorgegebene Textbausteine umgewandelt (»Gibt es weitere Verletzte?«) und auf dem Display des Smartphones angezeigt. Ob diese App, selbst wenn die technischen Probleme tatsächlich überwunden werden können, wirklich eine angemessene Lösung für den avisierten Nutzerkreis darstellt und entsprechende Verbreitung finden wird, wird sich zeigen müssen. Solange die Leitstellen nur Notrufe auf Sprach- oder Fax-Basis annehmen können und ihre Notrufanschlüsse noch nicht auf IP umgestellt haben (siehe Abschnitt Notruf­anschlüsse, Teil 1), dürfte es, wie die Arbeiten an der genannten App bestätigen, nicht einfach sein, einen praktikablen mobilen barrierefreien Notrufservice, der direkt die lokal zuständige Leitstelle von Polizei bzw. Feuerwehr adressiert, zu entwickeln. Auch ein Notrufservice »Text2Fax« stünde vor der Herausforderung, die lokal zuständige Leitstelle zu adressieren. Hierzu bedürfte es eines Servers, der den Text empfängt und der über Standortinformationen des Notrufenden verfügt, um die lokal zuständige Leitstelle ermitteln zu können.

Ein Blick in die Zukunft

Auf europäischer Ebene wird derzeit intensiv verhandelt, wann der E-Call eingeführt werden soll.

E-Call – der Notruf in Fahrzeugen

Es ist geplant, dass bei einem Autounfall, bei dem die Airbags auslösen, automatisch ein »E-Call« auf Basis eines 112-Notrufs aufgebaut wird, wobei – im Unterschied zum üblichen 112-Notruf – nach Aufbau der Sprachverbindung zunächst im Sprachkanal mittels Inband-Signalisierung GPS-gestützte Informationen zum Standort des Autos übermittelt werden. Die Leitstellen müssen hierzu ihre Systeme aufrüsten, um die Standort­informationen decodieren zu können. Die EU wird den Mitgliedsstaaten Fristen zur Umrüstung der Mobilfunknetze und Leitstellen vorgeben. Die Notrufverordnung enthält bereits eine Vorgabe für die Mobilfunknetze: E-Calls werden bereits korrekt transportiert und zu derselben Leitstelle geroutet, die auch für die normalen 112-Notrufe lokal zuständig ist. Neufahrzeuge werden wohl erst ab 2018 mit geeigneter Technik ausgerüstet werden müssen (und auch nur dann, wenn es sich um neu entwickelte Modelle handelt). Eine verpflichtende Nachrüstung älterer Modelle ist nicht geplant.

Notruf auf der Basis von IP-Datenverbindungen

Bild 2: Notruftechnik für medizinischen Dienst, Altenpflege
Bild 2: Notruftechnik für medizinischen Dienst, Altenpflege

Es gibt bislang nur einen Entwurf der TR Notruf 2.0, in der erstmals der IP-basierte Notrufanschluss (Bild 2) beschrieben wird. Dann wird es möglich sein, in IP-basierten Mobilfunk- und Festnetzen (LTE, NGN) IP-basierte Sprachnotrufverbindungen Ende-zu-Ende aufzubauen, so dass keine Protokollumwandlungen mehr nötig sind. Selbst Video­telefonie auf IP-Basis ist als Notrufverbindung denkbar. Weiterhin könnten textbasierte und somit barrierefreie Notrufservices auf IP-Basis entwickelt werden, etwa E-Mail-ähnliche Services mit Zieladressen z. B. der Art 110@notruf.de. Im Unterschied zu üblichen E-Mails müsste aber, damit die E-Mail die lokal zuständige Leitstelle erreichen kann, der Standort des Absenders ausgewertet und die Zieladresse in eine Adresse der lokal zuständigen Leitstelle umgewertet werden. Eine ­E-Mail darf generell auch einen Anhang ­haben, damit könnten zusätzlich Bilder oder Videos übertragen werden. Auch eine App wäre leichter entwickelbar, wenn die Leitstellen ihre Anschlüsse auf IP umgestellt hätten. Eine Umwandlung des Textes in Sprache, wie in Abschnitt »Barrierefreier Notruf« beschrieben, wäre dann hinfällig. Ebenso könnte der Einsatz von Notrufservices auf der Basis von Social Media oder, naheliegender, bereits bestehender bzw. in der Entwicklung befindlicher, in das Endgerät integrierter Messag­ing­services (z. B. RCS/joyn) geprüft werden. Springender Punkt jedoch wäre jeweils die Sicherstellung des Routings der Datenverbindung zur lokal zuständigen Leitstelle.

Optimierung der Standortdatengenauigkeit bei mobilen Notrufverbindungen

Wie in Abschnitt »Mobilfunknetze« ausgeführt, verlangt die Technische Richtlinie Notruf netzbasierte Lösungen zur Lokalisierung eines Notrufenden. Mit den heute in den Mobilfunknetzen verfügbaren Methoden kann aber netzbasiert nur die Funkzelle, aus der die Notrufverbindung aufgebaut wird, festgestellt werden. Weil bei einem Notruf, bei dem es beispielsweise um die Rettung eines Menschenlebens geht, eine möglichst genaue Standortangabe essentiell sein kann, sollten bei einem Notruf die netzbasiert ermittelten Funkzelleninformationen um eine koordinatengenaue Standortinformation aus dem Endgerät ergänzt werden, wobei die netzbasiert ermittelte Funkzelleninformation gleichzeitig einen Hinweis auf die Korrektheit der endgerätebasierten Standortinformation lieferte. Sollten die beiden Informationen nicht zueinander passen, so müsste die endgerätebasierte Standortinformation verworfen werden. Damit das Endgerät seine Standortinformation bei einem Notruf an das Netz übertragen kann, müsste ein entsprechendes Protokoll definiert werden, das sowohl im Endgerät als auch im Netz implementiert ist. Ähnliches gilt für die Übertragung dieser Standortinformation vom Netz zur Leitstelle. Wesentlich wäre hier, dass zwischen Endgerät und Netz ein Protokoll eingesetzt wird, das zum integralen Bestandteil des emergency calls würde. Dazu wäre das Protokoll des emergency calls um die Übertragung von endgerätebasierten Standortinformationen zu erweitern. Nur auf diese Weise wäre datenschutzkonform sichergestellt, dass die genaueren Standort­informationen nur bei Notrufen, aber nicht bei beliebigen Gesprächen nutzbar bzw. in deren Metadaten speicherbar wären.

Glossar:

  • RCS: Die standardisierte Technik ermöglicht unter anderem Kurznachrichten, Chat, Gruppen-Chat, Videotelefonie und die Übertragung von Ortsangaben, Sprache und Dateien.
  • E-Call: Notruf aus Fahrzeugen (Auto)
  • Inband-Signalisierung: Die Signalisierung nutzt zur Übertragung von Daten den gleichen Übertragungskanal wie für die Übertragung der Sprache.
  • DTMF-Signale: Dual tone multiplex, Mehr­frequenzwahlverfahren, Das MFV überträgt für jede Ziffer ein Gemisch aus zwei Frequenzen.
  • Anhang N3 der TR Notruf: Beschreibung des ISDN-Protokolls zur Übertragung von Standort­daten

Fazit

Die Antwort auf die Frage des Titels »Notruf 110 / 112 – eine gute Wahl?« lautet daher: »Ja! 110 / 112 – eine (ziemlich) gute Wahl!« Über diese sicherlich richtige und wichtige Botschaft hinaus sei hier noch einmal zusammenfassend betont:

  • Notrufe sind von elementarer Bedeutung  – ein jeder kann einmal in eine Notsituation geraten, in der er dringend Hilfe benötigt, die er ohne einen Notruf nicht erhielte.
  • Die regulatorischen Vorgaben für Notrufe sind umfänglich und einem kontinuierl­ichen Änderungs- und Optimierungsprozess unterworfen.
  • Die regulatorischen Vorgaben betreffen nur die TK-Unternehmen, nicht aber die Leitstellen, so dass wichtige Neuerungen ggf. nicht unter Einbindung aller Beteiligten koordiniert eingeführt werden.
  • Die Umsetzung in den Mobilfunk-, aber auch in den Festnetzen ist komplex und aufwendig.
  • Notrufe haben heute Grenzen (nur Sprache oder Fax, Lokalisierung im Mobilfunk grobmaschig, wenn auch in der Regel hinreichend).
  • Es bedarf der Entwicklung eines praktikablen textbasierten bzw. barrierefreien mobilen Notrufs.
  • Die Standortfeststellung eines mobilen Notrufenden sollte künftig über eine Kombination aus netz- und endgerätebasierten Standortdaten erfolgen: Funkzelle aus dem Netz und geografische Koordinate aus dem Endgerät.
  • Neue Formen des Notrufes müssen datenschutzgemäß ausgestaltet werden, dies gilt insbesondere für die ggf. notwendigen Netzfunktionalitäten zur Standortfeststellung des Notrufenden.

(Ende des Beitrags)

Über den Autor
Autorenbild
Gerhard Kramarz-von Kohout

Senior Security Expert, Deutsche Telekom AG, Aufgabenbereich »Öffentliche Sicherheit«

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