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Schwierige Fragen aus der Praxis – Sitzung 8 (2021)

»de«-Expertenrunde Praxisprobleme (2)

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zu Teil 1

So trafen sich Ende 2021 zum achten Mal Autoren der »de«-Rubrik »Praxisprobleme«, um aktuelle Themen unserer Branche miteinander zu diskutieren. Dieses Treffen konnte leider auch in diesem Jahr nicht komplett als Präsenzveranstaltung in der Berliner Elektroinnung stattfinden (Bild 2). Alle Teilnehmer der Expertenrunde sind aktiv tätig als Autoren der »de«-Rubrik »Praxisprobleme«:

  • Karsten Callondann, Berlin, VdS Schadenverhütung GmbH, Köln, Mitarbeit in diversen Normungsgremien (Bild 2, links unten)
  • Thomas Flügel, Berlin, ehemals Technischer Leiter Elektrotechnik an der Charité, Mitarbeit in diversen Normungsgremien (Bild 2, rechts unten)
  • Holger Niedermaier, Erlangen, Sachverständigenbüro für Elektrotechnik
  • Werner Hörmann, Wendelstein, ehemals tätig bei Siemens, Mitarbeit in diversen Normungsgremien
  • Frank Ziegler, Großbottwar, Arge Sachverständige Elektrotechnik.

Der erste Teil dieser Expertenrunde  befasste sich mit den Themen des differenzierten Einsatzes von AFDDs in der Praxis sowie mehr Offenheit für die Verlegung flexibler Kabel und Leitungen.

Bild 2: Schnappschüsse zwischen Beamer und Obermeisterzimmer der Berliner Elektroinnung – die Experten bei der Diskussion
Bild 2: Schnappschüsse zwischen Beamer und Obermeisterzimmer der Berliner Elektroinnung – die Experten bei der Diskussion

Verlegung von Kabeln und Leitungen auf Rohfußboden

Neben dem Wunsch nach fester Verlegung flexibler Kabel und Leitungen wird in der Praxis das Verlegen regulärer Kabel und Leitungen auf dem Rohfußboden häufig angewendet. Es steht dabei immer die Frage im Raum, ob diese in einem Schutzrohr zu verlegen sind. Es geht in der Norm DIN 18015 Teil 1 ja um den mechanischen Schutz. Die Experten dieser Runde verwiesen darauf, dass durch geeignete organisatorische Maßnahmen ggf. auf den mechanischen Schutz verzichtet werden kann, wenn sich auf diese Weise eine Beschädigung ausschließen lässt. Aus DIN 18015 könnte man herauslesen bzw. interpretieren, dass Kabel bzw. Leitungen bevorzugt ohne Schutzrohr auf dem Rohfußboden verlegt werden sollten. Das Schutzrohr hat nämlich den Nachteil, dass es den Estrichaufbau in der erforderlichen Stärke behindern kann.

H. Niedermaier: »Es reicht als mechanischer Schutz, wenn man die Leitungen direkt unter die Dämmung des Estrichs hineinlegt, Dort braucht man dann weder ein Schutzrohr noch ein Erdkabel, sprich: NYY«

K. Callondann: »Leerrohr im Sinne von auswechselbar bedeutet natürlich etwas Anderes als im Sinne des mechanischen Schutzes. Die DIN 18015 empfiehlt so etwas natürlich an einigen Stellen.«

H. Niedermaier: »Es bleibt festzuhalten: In der gesamten normalen Gebäudeinstallation für Energieleitungen ist eine Austauschbarkeit nirgendwo gefordert bzw. gegeben.«

Halogenfreie Leitungen gefordert?

Mit Erstaunen bzw. sogar Entsetzen verwies Thomas Flügel auf die erstmalige Forderung von halogenfreien Leitungen im Bereich der Normen – im konkreten Fall in der DIN EN ISO 11197: (VDE 0750-211):2020-05 »Medizinische Versorgungseinheiten«. Gerade im Bereich von Krankenhäusern existiert eine hohe Nichtakzeptanz halogenfreier Bauelemente wegen deren chemischer Instabilität. Als aggressive Umgebung gilt hier der Einsatz von Desinfektionsmitteln, welche das halogenfreie Material angreifen.

K. Callondann: »Halogenfreiheit, wozu soll sie denn dienen? Sie führt natürlich zu weniger Säurebildung beim Löschen brennender Leitungen. Es geht also um die Vermeidung von baulichen Folgeschäden – sagen die Versicherer. Bei Krankenhäusern ist das vermutlich nicht das primäre Ziel. Bleibt also die Frage, was so eine Forderung in der Norm zu suchen hat?«

T. Flügel: »Es ist das erste Mal, dass die Forderung nach halogenfreien Leitungen in einer Norm auftaucht. Es ist daher zu vermuten, dass es sich bei dieser Forderung um einen ­lobbyistischen Eingriff in die Errichternormen handelt. Diese Norm versetzt damit Planer und Errichter in Zugzwang und verhindert die notwendige Flexibilität bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen. Diese Situation ist vergleichbar damit, wie es seinerzeit bei der normativen Forderung nach einer AFDD der Fall war. Auch diese kann ja wohl nicht das einzige Mittel zur Erreichung eines brandschutztechnischen Ziels darstellen.«

H. Niedermaier: »Ja, das war ein ähnliches Thema bei der Aufnahme der AFDD in die Normen, was ja nun ein wenig befriedet werden konnte. Aber natürlich muss auch hier beim Thema halogenfreie Leitungen aufgepasst werden, dass sich bestimmte Forderungen nach speziellen Produkten nicht verselbstständigen. Wir als Installationsnormer – ich arbeite ja selbst in einigen Gremien mit – müssen auf die Normer von Produkten ‚aufpassen‘. Die normative Forderung nach halogenfreien Leitungen ist ein Beispiel dafür, sie ergibt so wenig Sinn.«

K. Callondann: »Noch nicht einmal in der Norm DIN VDE 0100-420, wo es explizit um Brandgefahren geht, werden halogenfreie Leitungen gefordert, sondern nur empfohlen.«

Derartige Probleme sind nach Ansicht der Experten nicht zuletzt auch auf den fehlenden Nachwuchs im Bereich der Normung zurückzuführen, der bei solchen Ungereimtheiten entgegensteuern könnte. Die dafür infrage kommende Personengruppe kann offensichtlich für sich keinen Benefit an einer solchen Tätigkeit erkennen. Anders sieht das jedoch seitens der Hersteller im Bereich der Produktnormen aus. Sie produzieren und vertreiben international – vornehmlich europäisch – und lassen ihre Produktnormen über diese internationale Ebene in die jeweiligen nationalen Normen einfließen.

Und immer wieder Begrifflichkeiten

Einen interessanten Aspekt zeigte der Bericht aus dem Krankenhausbereich, wo Elektrofachleute mit Kaufleuten diskutieren. Die für Techniker selbstverständlichen Begriffe werden auf mitunter banale Weise unterschiedlich wahrgenommen.

T. Flügel: »Da gab es einige Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit den Begriffen Notstrom und Netzersatz. Über diese Begriffe ist künftig nachzudenken, da der Begriff ‚Netzersatzanlagen‘ bei Nicht-Technikern ­assoziierte, dass ein Netz ersetzt wird. Das ­bedeutet in den Augen der Kaufleute oft eine Redundanz, die es zu verhindern gilt. Jedoch wird hier ja nichts ersetzt, sondern die Verfügbarkeit der betreffenden Anlage sichergestellt. Wir brauchen daher immer eine klare Unterscheidung zwischen Notstrom und Netzersatz. Bei Notstrom ist übrigens heute immer noch das Dieselaggregat das dominierende Mittel, da soll man sich nichts vormachen. Bei Netz­ersatz kommen heute zunehmend auch alternative Lösungen zum Einsatz, wenn beispielsweise die 15 s-Bereitstellungszeit nicht die vordergründige Rolle spielt.«

Elektrische Anlagen für Sicherheitszwecke

T. Flügel: »Ich möchte an dieser Stelle die neue Klassifizierung der elektrischen Anlagen für Sicherheitszwecke gemäß E DIN VDE 0100-560 (VDE 0100-560):2021-08 Abschnitt 560.4 ansprechen. Sie enthält gegenüber der Vorgängernorm zunächst eine positiv zu wertende eindeutigere Einteilung. Allerdings droht mit dieser Norm leider eine Neubezeichnung des PE-Leiters als Schutzerdungsleiter – siehe IEC 60050-826-13-23. Das Verständnis für den Begriff Schutzleiter wird wieder einmal ins Wanken gebracht und es droht die Nichtakzeptanz dieser Norm seitens der Fachwelt

F. Ziegler: »Den Begriff Schutzerdungsleiter sollte man nicht verwenden.«

W. Hörmann: »Das Auftreten des Begriffs Schutzerdungsleiter ist nicht neu. Einen solchen Fehler gab es schon einmal im Zusammenhang mit der DIN VE 0100-410, wo vor einigen Jahren der Begriff Schutzerdung wieder auftauchte, was zu Verwirrungen führte. Schon damals wurde der Stolperstein ausgelegt, über den man offensichtlich auch heute immer wieder stolpert.«

T. Flügel: »Ich sehe oft das Problem, dass die Normen aus den internationalen Vorgaben im sprachlichen Sinne quasi zu korrekt übersetzt werden. In dem Punkt könnte man z. B. zu den Niederländern schauen, die bei der Übersetzung aus dem Englischen großzügiger herangehen und so den fachlichen Normentext besser an ihren sprachlichen Gebrauch anpassen. Im Deutschen haben wir von Haus aus eine größere Vokabelbandbreite als im Englischen, so dass Anpassungen bei der Übersetzung unumgänglich sind.«

W. Hörmann: »U. a. auch deswegen wurden die Grauschattierungen im Normentext eingeführt. Dort konnten solche sprachlichen Besonderheiten ausgedrückt werden. Allerdings hat sich die Grauschattierung auch dahingehend gewandelt, zusätzliche Normenforderungen in den Text einzubringen, die mit der internationalen Norm kaum noch etwas zu tun haben.«

F. Ziegler: »Begrifflichkeiten müssen klar definiert sein. Im Alltag der Elektrohandwerker gibt es ja sowieso den unvermeidlichen Fachjargon mit teils inkorrekten Begriffsverwendungen. Schon allein deshalb sollten deutsche Normen präzise Begriffe verwenden, die auch eine Konsistenz zwischen verschiedenen Normen aufweisen müssen.«

Gesetze für Elektromobilität

Um die Elektromobilität voranzubringen hat der Gesetzgeber das GEIG (Gesetz zum Aufbau einer gebäudeintegrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur für die Elektromobilität) auf den Weg gebracht. Die Kurzbezeichnung dafür lautet Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetz. In der Praxis ist natürlich die Krux, was man unter einer Leitungsinfrastruktur im Sinne des GEIG versteht. Wie ist sie zu realisieren, wenn konkrete planerische Vorgaben seitens des Bauherren fehlen? Man muss ja bei den Realitäten des Wettbewerbs davon ausgehen, dass die Leitungsinfrastruktur möglichst wenig kosten darf, aber später trotzdem die notwendige Ladeleistung zur Verfügung steht. Wie könnten also planerische Grundansätze aussehen?

H. Niedermaier: »Seit mehreren Jahren bin ich in Großprojekten mit diesem Thema konfrontiert. In der Regel halte ich es dabei in ­privaten Wohnanlagen so, dass wir von Ladesäulen mit 11 kW Ladeleistung je Ladepunkt ausgehen. Hierzu entsprechend wird dann das entsprechende Leitungsführungssystem projektiert und errichtet.«

F. Ziegler: »Da müssen die vorbereitende In­frastruktur, der Brandschutz und vieles mehr mitgedacht werden. Natürlich werden entlang des planerischen Leitungsweges für die Leitungsinfrastruktur der E-Mobilität in Gebäuden noch keine Wand- oder Deckendurchbrüche mit dann ja evtl. notwendigen Brandschotten errichtet. Die Anordnung der Leitungsinfrastruktur muss allerdings so erfolgen, dass eine spätere Realisierung aus brandschutztechnischer Sicht möglich ist. Den ersten Erfahrungen zufolge erfolgt der Aufbau einer Ladeinfrastruktur in mehreren kleinen Schritten, weil mehr und mehr einzelne Ladestationen hinzukommen.«

H. Niedermaier: »Ein möglicher zusätzlicher Leistungsbedarf für Ladeeinrichtungen bereitet übrigens weniger Probleme als man das vielleicht annehmen würde. Es gibt z. B. von den Münchener Stadtwerken eine Untersuchung, die zeigt, dass bei geeignetem Lastmanagement und während der Standzeit permanent angeschlossenen E-Autos alle Autos mit der am Hausanschluss zur Verfügung stehenden Leistung ausreichend geladen werden können. Das Lastmanagement nutzt konsequent die lastschwachen Zeiten aus, um die zur Verfügung stehende Leistungsdifferenz an die zu ladenden Autos zu verteilen. Bei diesem Ladekonzept kann dann E-Mobilisten sogar eine Mindestladung garantiert werden, wenn das Fahrzeug für eine definierte Mindestzeit am Ladepunkt angeschlossen ist.

Bei der Vorausplanung ist natürlich vor allem auch der Platz für Zähler- und Verteileranlagen sowie die Leitungsinfrastruktur mit einzuplanen. Die Reserve einer zusätzlichen Leistung im Hausanschluss ist als eher unkritisch anzusehen. Nehmen wir als Beispiel eine Wohnanlage mit 20 bis 30 Wohnungen. Hier könnten entsprechende Parkplätze bei geeignetem Lastmanagement sehr wahrscheinlich anhand der für die Wohnungen veranschlagten Leistung im Hausanschluss mit abgedeckt werden.«

F. Ziegler: »Da in diesem Bereich der Faktor Zeit nicht die dominierende Rolle spielt, muss das Augenmerk statt auf Kilowatt auf Kilowattstunden liegen. Kann ich in der zur Verfügung stehenden Zeit genügend Energie – also Kilowattstunden – in der Batterie speichern, so dass ich meine alltäglichen Fahrkilometer abdecken kann? Die Antwort lautet ja, bei geeignetem Lastmanagement ist das möglich. Für derartige Lösungen genügen in der Regel Ladepunkte mit 11 kW Ladeleistung.«

H. Niedermaier: »Es sei noch mal klar herausgestellt: Ladepunkte einer Tiefgarage in einem Wohnhaus sind etwas völlig anderes als z. B. die Schnellladesäulen an Tankstellen. Dort geht es um kurze Ladezeiten und damit hohe Ladeleistungen. In einem Wohnhaus liegt eine völlig andere Zielstellung vor.«

F. Ziegler: »Ebenso verhält es sich mit gewerblichen Anwendungen, die mitunter hohe Ladeleistungen erfordern, z. B. ein Busdepot für E-Busse oder eine Firma mit elektrischen Lieferfahrzeugen.«

K. Callondann: »Der Hintergrund bzw. das eigentliche Ziel des GEIG ist, dass es von vornherein beim Neubau von Gebäuden ermöglicht wird, später genügend Ladestationen errichten zu können. Hierzu zählt z. B. auch, dass bei späterem Bedarf die erforderlichen Flächen für Zähler und Verteiler zur Verfügung stehen.«

F. Ziegler: »Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch die informations­technische Infrastruktur, die für die Lade­infrastruktur notwendig ist. Ladestationen sollen später auch vernetzt werden können. Eine Ladesäule benötigt neben der elektrischen Energie auch Informationstechnik.«

Errichtung von Wallboxen

Eine gängige Frage lautet heute in der Praxis, was bei der Errichtung eines Ladepunktes z. B. in Form einer Wallbox in bestehenden Gebäuden zu beachten ist. Dieses Thema ließ sich relativ leicht abhandeln, da die Norm DIN EN IEC 61851-1 (VDE 0122-1):2019-12 die Anforderungen kurz und aussagekräftig definiert. Vorsicht ist beim Laden an normalen Schutzkontaktsteckdosen geboten, was daher nur als Notlösung anzusehen ist.

K. Callondann: »Eine Besonderheit stellen die Ladeleitungen dar – sprich: Ladeleitungsintegrierte Steuer- und Schutzeinrichtung (IC-CPD) mit Schuko-Stecker für Ladebetriebsart 2. Diese werden von den Autoherstellern mitgeliefert. Sie sollen die Schutzmaßnahmen sicherstellen, die beim Laden an einer Schutzkontaktsteckdose notwendig sind. Leider begrenzt nicht jede IC-CPD die Ladeleistung, so dass es in diesem Falle zur Überlastung der Steckdose kommen kann.«

W. Hörmann: »Das ist sowieso ein allgemeines Problem der Schutzkontaktsteck­dosen für den Haushaltsgebrauch – also nicht nur für Ladesteckdosen, sondern auch für Waschmaschinen, Trockner usw. Das Abbrennen von Steckdosen tritt in der Praxis immer wieder auf.«

Über den Autor
Michael Muschong
Dipl.-Ing. (FH) Michael Muschong

Redakteur der Fachzeitschrift »de«

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