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Interview mit dem ZVEH-Präsidenten: Aktuelle Entwicklungen im E-Handwerk

Fachkräfte: Die Basis für das Gelingen der Energiewende

Bild 1: Lothar Hellmann: »Der Fachkräftemangel ist nur im Rahmen des bewährten dualen Systems zu lösen«
Bild 1: Lothar Hellmann: »Der Fachkräftemangel ist nur im Rahmen des bewährten dualen Systems zu lösen«

(Bild: ZVEH)

Corona, der Ukraine-Krieg, die Inflation – von diesen Entwicklungen kann sich auch das E-Handwerk nicht vollständig abkoppeln. Dennoch drückt der Schuh an anderer Stelle besonders – beim Fachkräftemangel.

»de«: Die Corona-Pandemie scheint nach gut zwei Jahren mehr oder weniger überwunden. Wie hat das Elektrohandwerk diese Zeit gemeistert?

L. Hellmann: Die E-Handwerke hatten das große Glück, ohne große Einbrüche durch die Corona-Krise gekommen zu sein. Der Geschäftsklimaindex brach zwar zu Beginn der Pandemie ein, hat sich aber schnell wieder erholt und befindet sich inzwischen nahezu wieder auf Vorkrisenniveau. Mit dazu beigetragen hat sicherlich auch, dass die E-Handwerke auf Betreiben des ZVEH bereits im März 2020 vom Bundesinnenministe­rium für systemrelevant erklärt wurden. Wir konnten also ohne große Einschränkungen weiterarbeiten.

Unsere Auftragssituation war und ist sehr gut. Die Umsätze und die Anzahl der Beschäftigten wie auch der Auszubildenden im E-Handwerk haben in den vergangenen Jahren ebenfalls zugelegt. Dennoch bleibt der Fachkräftemangel unsere größte Herausforderung. Das Gelingen der Energiewende braucht ein leistungsfähiges E-Handwerk. Unser bisheriges organisches Wachstum wird aber für die zukünftigen Herausforderungen nicht ausreichen.

»de«: Im Zuge der Corona-Krise kam es immer wieder zu außerplanmäßigen, teils sehr kurzfristigen Preiserhöhungen seitens der Hersteller und des Großhandels. Hat sich die Situation wieder beruhigt?

L. Hellmann: Eines vorweg: Eine solche Preisralley habe ich in meiner über 40-jährigen Tätigkeit im E-Handwerk noch nicht erlebt. Ab dem Frühjahr 2021 kam es zu ersten Lieferproblemen seitens der Vorlieferanten unserer Hersteller, und in Folge dessen zu teilweise exorbitanten Preissteigerungen. Wie unsere aktuelle Frühjahrs-Konjunkturumfrage 2022 zeigt, hat dies die Gewinne vieler E-Handwerksbetriebe deutlich geschmälert, da sie häufig nicht in der Lage waren, diese kurzfristigen Preiserhöhungen im Einkauf an ihre Kunden weiterzugeben. Inzwischen hat sich die Lage bei manchen Produktgruppen wieder beruhigt, bei anderen allerdings weiter zugespitzt. Eine echte Entspannung kann ich aktuell noch nicht erkennen.

Bild 2: Auswirkungen von Corona auf den Gewinn der E-Handwerksbetriebe 2021 (ZVEH-Konjunkturumfrage vom Frühjahr 2022)
Bild 2: Auswirkungen von Corona auf den Gewinn der E-Handwerksbetriebe 2021 (ZVEH-Konjunkturumfrage vom Frühjahr 2022)
(Bild: ZVEH)

»de«: Gestörte Lieferketten haben die Verfügbarkeit von Material teils erheblich beeinträchtigt. Erwarten Sie hier bzw. spüren Sie schon eine weitere Verschärfung aufgrund des Ukraine-Kriegs?

L. Hellmann: Der Ukraine-Krieg bereitet mir in der Tat Sorgen. Dessen Auswirkungen führen zu einer weiteren Verschärfung der bereits zuvor angespannten Situation. Auch im E-Handwerk fehlen Komponenten, etwa Schütze, Fehlerstromschutzschalter oder Smart Meter Gateways, um nur einige Beispiele zu nennen. Hier hat jeder Betrieb sicherlich seine eigenen Erfahrungen gemacht. Teilweise fehlen auch auf den ersten Blick triviale Produkte, etwa Nägel, die normalerweise in großer Stückzahl in der Ukraine produziert werden. Aufgrund der fehlenden Nägel gibt es einen Mangel an Paletten, was wiederum dazu führt, dass viele Produkte nicht transportiert werden können. Ich gehe davon aus, dass es infolge der durch den Ukraine-Krieg zusätzlich gestörten Lieferketten zu weiteren Preissteigerungen kommen wird. Aktuell sind dessen Auswirkungen noch nicht komplett eingepreist, insofern dürfte sich die Situation weiter verschärfen.

»de«: Als weitere Folge des Ukraine-Kriegs ist die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen verstärkt in den Fokus gerückt. Wird diese Entwicklung zu einem Investitionsschub hin zu erneuerbaren Energien führen, und dementsprechend zu zusätzlichen Umsätzen für das Elektrohandwerk? Welche Tätigkeitsbereiche stehen dabei im Fokus?

Bild 3: Die Verteuerung der Energiepreise macht die Investition in eine PV-Anlage noch attraktiver – idealerweise kombiniert mit Speicher und Energiemanagement
Bild 3: Die Verteuerung der Energiepreise macht die Investition in eine PV-Anlage noch attraktiver – idealerweise kombiniert mit Speicher und Energiemanagement

(Bild: Arge Medien im ZVEH)

L. Hellmann: Schon vor Beginn des Krieges wurde ja in einigen Bundesländern eine ­Solardach-Pflicht eingeführt, was zu zusätzlichen Aufträgen für das E-Handwerk geführt hat. Viele PV-Kunden können wir davon überzeugen, dass neben einer PV-Anlage auch die Investition in einen Speicher sowie ein intelligentes Energiemanagement sinnvoll ist. Weitere wichtige Tätigkeitsfelder für die E-Handwerke sind der Auf- und Ausbau der Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität sowie die Installation von Wärmepumpen.

Die steigenden Energiepreise führen dazu, dass Investitionen in effiziente Lösungen für den Kunden attraktiver werden – eine po­sitive Entwicklung für das E-Handwerk. Dennoch trüben einige Effekte die positiven Aussichten: Es steigen ja nicht nur die Energiepreise, sondern auch die sonstigen Lebenshaltungskosten, so dass die Kunden weniger finanziellen Spielraum für Investitionen haben. Und die bereits angesprochenen Lieferprobleme führen dazu, dass wir die Aufträge teils gar nicht abarbeiten können, weil uns schlicht und einfach die dafür erforderlichen Komponenten fehlen.

»de«: Wie kann das Elektrohandwerk zusätzliche Aufträge überhaupt stemmen – der Fachkräftemangel ist nach wie vor ein drängendes Problem?

L. Hellmann: In der Tat stellt der Fachkräftemangel aktuell unsere größte Herausforderung dar, schon jetzt fehlen 82.000 qualifizierte Mitarbeiter. Der ZVEH hat bereits im Januar einen Appell an die Politik formuliert. So sind die ambitionierten Ziele der Energiewende nur zu erreichen, wenn ausreichend Fachkräfte bereitstehen, die sie umsetzen. Maßgeblich involviert sind die E-Handwerke als diejenigen, in deren Zuständigkeit das Installieren von PV-Anlagen, Batteriespeichern und Ladeinfrastruktur für Elektromobilität fällt. Seitdem hat die Politik – auch vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs – die Ziele für den Ausbau der erneuerbaren Energien weiter verschärft, was den Bedarf an Fachkräften zusätzlich erhöht.

Daher haben wir Ende April erneut darauf hingewiesen, dass der Fachkräftemangel und die Arbeitsauslastung im Handwerk einer erfolgreichen Klima- und Energiewende im Wege stehen – gemeinsam mit der Gewerkschaft IG Metall und den Zentralverbänden des Heizungs-Sanitär-Klimahandwerks, des Metallhandwerks und des Tischler- und Schreinerhandwerks. In einer gemeinsamen Erklärung haben wir fünf konkrete Forderungen an die Bundesregierung erhoben. Unter anderem sollte die Politik für eine Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung sorgen. Das erfordert einen Ausbau des Aufstiegs-BAföGs und die Freistellung von Kosten für Fort- und Weiter­bildungen wie zum Beispiel der Meisterausbildung.

Essenziell für das Handwerk sind verlässliche Rahmenbedingungen. Denn der Aufbau von Fachkräften braucht Zeit, da wir unseren Nachwuchs in aller Regel selbst ausbilden. Aus unserer Sicht ist der Fachkräftemangel nur im Rahmen des bewährten dualen Systems zu lösen. Überlegungen der Politik, auch Teilqualifizierungen zu ermöglichen, erteilen wir eine klare Absage.

»de«: Bei den öffentlichen Förderungen rund um energieeffizientes Bauen bzw. ­Sanieren gab es in letzter Zeit ein Hin und Her. Bremst das die Investitionsbereitschaft der Kunden?

Bild 4: 37 % der Azubis im neuen Beruf des Elektronikers für Gebäudesystemintegration haben eine Hochschulreife
Bild 4: 37 % der Azubis im neuen Beruf des Elektronikers für Gebäudesystemintegration haben eine Hochschulreife

(Bild: Arge Medien im ZVEH)

L. Hellmann: Die Fördermaßnahmen für energieeffizientes Bauen wurden ja am 24.1.2022 kurzfristig gestoppt. Am 20.4.2022 liefen die Maßnahmen wieder an, allerdings war der erste Fördertopf nach wenigen Stunden ausgeschöpft. Seither gelten nochmals deutlich verschärfte Bedingungen, was das Bauen zusätzlich verteuert. Dieses Hin und Her hat viele Bauherren verunsichert. In Kombination mit den bereits angesprochenen Preissteigerungen führt das dazu, dass sich eine Reihe von Investitionswilligen Neubau- bzw. umfangreiche Sanierungsmaßnahmen aktuell nicht mehr leisten. Daher besteht die reale Gefahr, dass der Wohnungsbaumarkt 2023 deutlich einbrechen wird – mit entsprechenden Auswirkungen auch auf die E-Handwerke. Auch die öffentliche Hand könnte als Auftraggeber ein Stück weit ausfallen, angesichts leerer Kassen aufgrund der Corona-Krise.

»de«: Zum 1.7.2022 soll die EEG-Umlage entfallen. Hilft diese Entwicklung der E-Branche?

L. Hellmann: Ja und nein. Zwar entlastet diese Entscheidung der Politik die Stromkunden – allerdings sollten die Energieversorger gesetzlich verpflichtet werden, die Senkung auch an ihre Kunden weiterzugeben. Tendenziell werden die Kosten für Energie aber steigen, was einerseits den Invest z. B. in eine PV-Anlage attraktiver macht, andererseits aber das Budget der Kunden schmälert. Hilfreich für eine schnelle Umsetzung der Energiewende wäre aus unserer Sicht, wenn der Strom für Wärmepumpen und für Elektromobilität ebenfalls von Umlagen befreit werden würde.

»de«: Eine weitere Folge der Corona-Krise ist ein Schub in Sachen Digitalisierung. Sehen Sie das Elektrohandwerk hier gut aufgestellt?

L. Hellmann: Digitalisierung ist immer ein Prozess, insofern ist hier nur eine Momentaufnahme möglich. Und hier sehe ich die E-Handwerke aktuell gut aufgestellt. Wir haben uns frühzeitig mit dem Thema auseinandergesetzt, denken Sie etwa an die Bonner Erklärung aus dem Jahr 2017, mit der wir Leitplanken für das Agieren der gesamten E-Branche im Zeitalter der Digitalisierung gesetzt haben. Mitte März diesen Jahres fanden die ersten ZVEH-Digitaltage statt. Dort haben wir an zwei Tagen unser breites, stetig wachsendes Spektrum an digitalen Tools und Arbeitshilfen für das E-Handwerk präsentiert. Dazu zählen beispielweise der E-Konfigurator, unsere Produktplattform »Elektro1« oder die E-Zubis App. Wir arbeiten aktuell an weiteren Digitalisierungsmaßnahmen und -werkzeugen, insofern sehe ich hier optimistisch in die Zukunft.

»de«: Gilt das auch für die gesamte Wertschöpfungskette Hersteller-Großhandel-Handwerk, oder gibt es aus Ihrer Sicht noch Nachholbedarf?

L. Hellmann: Hier ist aus meiner Sicht tatsächlich noch Luft nach oben. Kurz gesagt: Das E-Handwerk braucht einen freien und fairen Zugang zu den Daten, und zwar zu allen. Das betrifft sowohl die für die Planung, Installation und Dokumentation erforderlichen Daten als auch die während des Betriebs generierten Daten. Damit wir – und nicht nur die Hersteller – dem Kunden zum Beispiel entsprechende Serviceangebote bieten können, benötigen wir den Zugriff auf diese Daten.

»de«: Vergangenen Herbst haben die ersten Elektroniker für Gebäudesystem­integration ihre Ausbildung in dem neu geschaffenen Beruf begonnen. Wie sind die ersten Erfahrungen von Auszubildenden und Betrieben?

L. Hellmann: Zugegebenermaßen waren die Startbedingungen nicht optimal, da die letzten Entscheidungen, etwa über die Standorte der ÜBL, erst wenige Monate vor Ausbildungsbeginn feststanden. Dennoch sind wir mit dem Feedback und der Resonanz bisher sehr zufrieden. Dass wir mit dem neuen Berufsbild den Nerv der Zeit getroffen und die von uns erwartete Zielgruppe angesprochen haben, zeigt die Tatsache, dass 37 % aller Auszubildenen in dem neuen Beruf über eine Hochschulreife verfügen. Für das Ausbildungsjahr 2022 erwarten wir einen weiteren Schub in Richtung Elektroniker für Gebäudesystemintegration.

»de«: In Kürze findet die ZVEH-Jahrestagung nach zwei digitalen Formaten wieder in Präsenz statt. Welche Erwartungen haben Sie? Wie gestaltet sich der Zuspruch der Teilnehmer?

L. Hellmann: Wir sind alle glücklich, wieder eine Präsenzveranstaltung zu haben, und freuen uns auf die Jahrestagung in Wiesbaden. Das geht der gesamten E-Branche so, wie die hohen Anmeldezahlen zeigen. Unsere Jahrestagung lebt vom direkten Austausch, vom Netzwerken – das lässt sich digital kaum abbilden, wie wir alle in den vergangenen beiden Jahren gelernt haben.

»de«: Die Messe Light + Building 2022 wurde Pandemie-bedingt in den Herbst verschoben. Erwarten Sie eine halbwegs »normale« Messe, was Aussteller und Besucher betrifft?

L. Hellmann: Mit konkreten Prognosen bin ich in Corona-Zeiten vorsichtig geworden, wir wissen alle nicht, welche Überraschungen das Virus noch für uns bereithält. Persönlich freue ich mich auf die Light + Building, denn unsere Branche braucht ­Messen für den persönlichen Austausch. ­Voraussichtlich werden die Aussteller- und Besucherzahlen auf der Light + Building Anfang Oktober keine neuen Rekordwerte erreichen, dennoch bin ich mir sicher, dass die Veranstaltung für alle zu einem Erlebnis wird – als erste Branchenmesse seit knapp drei Jahren.

»de«: Wie wird das Angebot der elektrohandwerklichen Organisation auf der Light + Building aussehen?

L. Hellmann: Die E-Handwerke sind auf der Light + Building an ihrem neuen Standplatz neben dem Foyer in der Halle 11 zu finden. Elementarer Bestandteil unseres Messeauftritts wird das E-Haus in seiner aktuellen Version sein, das die Lösungen des E-Handwerks in den Bereichen Komfort, Sicherheit und Energieeffizienz für das smarte Zuhause zeigt. Schwerpunkte unseres Architekten­forums sind die Themen Building Informa­tion Modeling (BIM) und Digitalisierung. Für die Besucher aus dem E-Handwerk wird es ebenfalls wieder ein attraktives Vortragsprogramm geben. Die Auszubildenden erwartet wieder unsere E-Zubis-Werkstatt.

Nicht zuletzt freue ich mich auf die Preisverleihungen, die an unserem Stand stattfinden, darunter der Smart Living Professional Award sowie der von Ihrer Fachzeitschrift verliehene Deutsche Unternehmerpreis Elektrohandwerk. Ich kann zum Abschluss nur alle Kolleginnen und Kollegen ermuntern: Kommen Sie zur Light + Building, es lohnt sich.

»de«: Herr Hellmann, vielen Dank für das Gespräch.

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Dipl.-Ing. Andreas Stöcklhuber

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