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Alternativen zu SF6

Schaltanlagen umweltbewusst betreiben

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Das für Automobil-Klimaanlagen früher verwendete Kältemittel R134a wurde im Jahr 2011 verboten. Grund: Es wirkt als äußerst schädliches Treibhausgas. Was jedoch kaum bekannt ist: In der Elektrotechnik gibt es ein ähnliches Problem: Das u. a. in Schaltanlagen eingesetzte Schwefelhexafluorid ist noch schädlicher und das stärkste bisher bekannte Treibhausgas überhaupt. Es ist chemisch sehr reaktionsträge und dadurch ein sehr langlebiger klimawirksamer Stoff. In der Atmosphäre dauert es etwa 3200 Jahre, bis die Moleküle in sehr hohen Atmosphäreschichten durch UV-Strahlung abgebaut werden. 1 kg SF6 trägt genauso viel zur Klimaerwärmung bei wie 23.900 kg CO2.

Doch es gibt Alternativen: Wie diese aussehen, darüber sprachen wir mit Carsten Rieck, Produktmanager Mittelspannung bei Eaton in Bonn.

»de«: Herr Rieck, auf dem Markt für Mittelspannungsschaltanlagen finden sich ­eine Reihe von Anbietern, die auf SF6 als Isoliermedium setzen. Die Betriebserfahrungen damit scheinen gut zu sein, da auch viele Anwender noch auf diese Technologie setzen?

Netzeinspeisung im Keller eines 
Bürogebäudes mit eigener MS-Einspeisung
Netzeinspeisung im Keller eines Bürogebäudes mit eigener MS-Einspeisung

C. Rieck: Sie haben Recht, wenn Sie sich rein auf die technologischen Aspekte beziehen, dann erfüllen SF6-isolierte Schaltanlagen definitiv ihren Zweck. SF6 kommt heute in Mittel- und in Hochspannungsschaltanlagen zum Einsatz. Aus meiner Sicht wird das im Bereich der Hochspannung über 36 kV auch noch für längere Zeit so bleiben – alternative Lösungen sind derzeit in der Entwicklung. Doch für den Bereich der Mittelspannung bieten wir eine technisch gleichwertige Lösung an, die bei gleichen kompakten Abmessungen ohne SF6 auskommt.

Erlauben Sie mir noch eine Anmerkung: Wir sprechen hier von Mittel- und Hochspannung – Begriffe, die es so in der Norm nicht mehr gibt. Die Normenreihe IEC 62271 definiert alle Spannungen über 1 kV als Hochspannung. Wenn wir hier über Mittelspannung reden, beziehe ich mich auf die Spannungsebene zwischen 1 kV und etwa 50 kV.

»de«: Können Sie die Problemstellung kurz umreißen?

Die Familie »Xiria«: Blockanlage, erweiterbares Schaltfeld und Messfeld
Die Familie »Xiria«: Blockanlage, erweiterbares Schaltfeld und Messfeld

C. Rieck: Mittelspannungsschaltanlagen erfordern ein Isolationsmedium, das die internen Bauteile elektrisch voneinander isoliert. Einige Hersteller von gasisolierten Schaltanlagen nutzen das Isoliergas SF6, das sich in einem versiegelten Gehäuse befindet. SF6 ist jedoch unter Umweltgesichtspunkten als bedenklich einzustufen.

Immer mehr Unternehmen verpflichten sich, bestimmte Nachhaltigkeitsprinzipien einzuhalten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen beizutragen. Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsrichtlinien spielen eine immer wichtigere Rolle. Vor diesem Hintergrund machen sich zwar schon viele Unternehmen Gedanken über ihre Energieversorgung und setzen z.B. auf regenerativ erzeugten Strom. Doch vielen ist noch nicht bewusst, dass die Mittelspannungsschaltanlage auf ihrem Betriebsgelände eine erhebliche Treibhausgas-Gefahrenquelle darstellt: Sollte hier SF6 im Betrieb oder bei der Entsorgung entweichen, sieht Ihre Treibhausgasbilanz auf einmal schlecht aus.

»de«: Die SF6-Anlagen sind doch gasdicht aufgebaut und müssen von Fachleuten gewartet werden, da sollte doch nichts passieren?

C. Rieck: Im regulären Betrieb haben Sie ­sicher recht. Aber eine Leckage kann im Betrieb immer auftreten – sei es durch eine Undichtigkeit im Gehäuse oder durch einen mechanischen Defekt, etwa wenn ein Staplerfahrer den SF6-Tank beschädigt. Gerade Leckagen bemerkt der Anwender oft nicht sofort, wenn das Gas langsam entweicht, sondern erst im Rahmen der nächsten Sichtprüfung. Wichtig zu wissen: Sollte der SF6-Gehalt in der Schaltanlage unter einen definierten Mindestwert fallen, muss die Anlage sofort außer Betrieb genommen werden.

»de«: Aber SF6 ist doch nicht verboten?

Die diffuse Entladung durch parallele Lichtbögen verringert Kontakterosion
Die diffuse Entladung durch parallele Lichtbögen verringert Kontakterosion

C. Rieck: Ja und nein. Es gibt Anwendungsbereiche, in denen der Einsatz von SF6 nicht mehr zulässig ist. Das Kyoto-Protokoll listet SF6 als einen der Stoffe, deren Reduzierung angestrebt werden muss. Auch die EU befasst sich intensiv mit dem Thema und hat im April 2014 eine neue Fassung der sogenannten »F-Gase-Verordnung« erlassen. Diese Verordnung verbietet zwar Stand heute nicht den Einsatz von SF6 in Mittelspannungsschaltanlagen, fordert aber eine erneute Überprüfung im Jahr 2020. Insofern schließe ich nicht aus, dass es mittel- bis langfristig durchaus zu einem Verbot kommt.

»de«: Kann von SF6-Anlagen neben dem Treibhauseffekt auch eine Gefährdung für Menschen ausgehen?

C. Rieck: Von SF6 direkt nicht. Es ist nicht toxisch und biologisch inaktiv. Da es schwerer als Luft ist, sammelt es sich am Boden, lässt sich aber durch Lüften relativ einfach entfernen. Bei Anwendungen, wo ein Lüftungsvorgang nicht so einfach durchzuführen ist, etwa bei Tunneln oder im Bergbau, kommen daher SF6-Anlagen in der Regel nicht zum Einsatz.

Dennoch können in SF6-Anlagen giftige Stoffe entstehen: Bei einem offenen Lichtbogen zerfällt SF6 u.a. in HF, SF4, SOF2 und S2F10 – und diese Zersetzungsprodukte sind als sehr toxisch einzustufen. Wenn Sie bedenken, dass sich solche Anlagen auch in Kellern von Mietwohngebäuden oder Krankenhäusern befinden, wäre es durchaus angebracht, über Alternativen nachzudenken, bei denen das nicht auftreten kann.

»de«: Bei Ihren Anlagen kann das nicht vorkommen?

C. Rieck: Nein, wir verzichten vollkommen auf SF6, wir setzen auf luft- bzw. feststoffisolierte Schaltanlagen mit Vakuum-Lasttrenn- bzw. -Leistungsschalter. Dadurch vermeiden Anwender die potenziellen Probleme, die bei SF6 auftreten können. Wir verwenden dabei als Feststoff kein Gießharz, so dass sich die Brandlast der Schaltanlage nicht wesentlich erhöht.

»de«: Neben dem Umwelt- und Sicherheitsaspekt spielen für den Anwender auch die Kosten eine wesentliche Rolle. Wie sieht es hier aus?

C. Rieck: Wenn Sie eine einfache Standard-Schaltanlage nehmen, dann sind SF6-Anlagen im Anschaffungspreis in der Regel günstiger. In unseren Schaltanlagen verwenden wir jedoch generell einen Vakuum-Leistungs- bzw. Lasttrennschalter und keine Sicherungen. Und wenn Sie nun den Vergleich z.B. zwischen unserer Anlage »Xiria« und einer ebenfalls mit einem Leistungsschalter ausgerüsteten SF6-Anlage ziehen, befinden wir uns preislich auf Augenhöhe.

Wenn Sie eine Nachhaltigkeitsbetrachtung anstellen, sollten Sie allerdings nicht nur die Anschaffungskosten vergleichen, sondern auch Betrieb, Wartung und Entsorgung der Anlagen am Ende ihrer Nutzungsdauer berücksichtigen, also die Gesamtbetriebskosten. Wir betrachten unsere luftisolierten Anlagen als wartungsfrei. Eine Nachrüstung z.B. eines Motorantriebs ist problemlos möglich, etwa um die Anlage fit für das Smart Grid zu machen.

Mittelspannungsschaltanlagen haben in der Regel Nutzungszeiten von 40 Jahren und mehr. Die Entsorgung ist bei luftisolierten Anlagen absolut unkritisch. Bei SF6-isolierten Anlagen verursacht die Entsorgung deutlich mehr Aufwand, da Sie das SF6 nicht einfach in die Luft entweichen lassen dürfen. Was vielen nicht bewusst ist: Der Betreiber – nicht der Besitzer – der Schaltanlage ist für deren Entsorgung verantwortlich. Zwar sind die Hersteller verpflichtet, die Anlagen am Ende ihrer Lebensdauer zurückzunehmen – allerdings können sie die Entsorgung dem Betreiber in Rechnung stellen. Und wie sich diese Entsorgungskosten in den nächsten 40 Jahren entwickeln werden, kann niemand vorhersagen.

»de«: Herr Rieck, vielen Dank für das Gespräch.

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Dipl.-Ing. Andreas Stöcklhuber

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