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Praxisfrage

Fernwärmeleitung als Gebäudeerdung verwenden?

Die Gebäude einer Reihenhauskette mit Fernwärmeanschluss haben eine Kunststoffwasserleitung bekommen. Damit war die bisherige Gebäudeerdung nicht mehr vorhanden. Ein Eigentümer hat nun von seinem Elektriker die Fernwärmeleitung als Gebäude­erdung verwendet. Alle anderen haben jeweils eigene Erdungen installiert. Meine Frage ist, ob das nach VDE zulässig ist und es ein Risiko gibt.

M. H., Bayern

Expertenantwort vom 09.10.2023
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Werner Hörmann

Gelernter Starkstrommonteur und dann viele Jahre als Projektant für Schaltan­lagen und Steuerungen bei Siemens tätig. Aktive Normung in verschiedenen Komitees und Unterkomitees der DKE. Seine Spezialgebiete sind u. a. die Er­richtungsbestimmungen nach DIN VDE 0100 (VDE 0100) – insbesondere Schutz gegen elektrischen Schlag –, die Niederspannungs-Schaltanlagen nach DIN EN 60439 (VDE 0660-500 bis -514) oder das Ausrüsten von elektrischen Maschinen nach DIN EN 60204-1 (VDE 0113-1). Werner Hörmann ist Verfasser zahlreicher Beiträge in der Fachzeitschrift »de« sowie Autor diverser Fachbücher.

DIN VDE 0100-410, DIN VDE 0100-540, ungültige DIN VDE 0100-540:1991-11, DIN 18014

Nachträgliche Erdererrichtung

Es ist schon erstaunlich, auf welche Ideen manche Leute – aber leider auch, wie bei Ihnen, Elektrofachkräfte – kommen. Das Thema, nachträglich einen Erder zu errichten, ist in der letzten Zeit sehr häufig aufgetreten, da vorhandene metallene Wasserleitungen gegen Kunststoffrohre ausgewechselt wurden und vom Netzbetreiber die Errichtung eines Anlagenerders gefordert wird.

Fakt ist, dass bei der Versorgung aus einem TN-System bis 2007 kein Erder gefordert war und somit auch nachträglich  kein Erder errichtet werden muss. Ein Ausnahme gilt dann, wenn aus anderen Gründen ein Erder auch im TN-System notwendig wird. Dies ist  z. B. aus Blitzschutzgründen oder durch die Errichtung einer Sat-Schüssel notwendig. Für elektrische Anlagen, die aus einem TT-System versorgt werden, muss aber bei der Umstellung auf Kunststoffrohre ein entsprechender Erder errichtet werden. Da es sich nicht um neues Gebäude handelt, ist auch die DIN 18014 nicht zwingend zu beachten.

Unzulässige Verwendung

In erster Linie möchte ich auf den Abschnitt 542.2.3 von DIN VDE 0100-540:2012-06 verweisen, wo festgelegt ist, dass in Deutschland Wasser- und Gasrohre als Erder nicht verwendet werden dürfen. Da nur allgemein Wasserrohre angeführt sind, muss davon ausgegangen werden, dass auch Fernwärmeleitungen – die ja Wasser führen – auch unter dieses Verbot fallen. Im Abschnitt 4.2.6 der zurückgezogenen DIN VDE 0100-540:1991-11 wurde dies klarer zum Ausdruck gebracht, wo Folgendes festgelegt war: »Metallene Rohrleitungen für andere als in Abschnitt 4.2.5 genannte Zwecke (z.B. für brennbare Flüssigkeiten oder Gase, Heizrohrnetze usw.) dürfen nicht als Erder für Schutzzwecke benutzt werden.

Anmerkung: Diese Festlegung schließt die Anwendung dieser Einrichtungen als Potentialausgleich nicht aus, um die Bedingungen nach DIN VDE 0100 Teil 410 zu erfüllen.«
Wenn solche Fernwärmeleitungen – auch wenn die Verwendung als Erder ausgeschlossen ist – leitfähig in ein Gebäude eingeführt werden, sind solche leitfähigen Rohre, mit Schutzpotentialausgleichsleiter von mindestens 6 mm2 Cu mit der Haupterdungsschiene zu verbinden – siehe hierzu Abschnitt 411.3.1.2 von DIN VDE 0100-410:2018-10.

Mögliche Risiken

Für Gebäude mit elektrischen Anlagen, für die ein Erder erforderlich ist, z. B. bei einer TT-Versorgung, kann eine mögliche Unterbrechung der Fernwärmeleitung, z. B. bei Reparaturen, dazu führen, dass im Fehlerfalle eine Abschaltung eines fehlerbehafteten Stromkreises nicht mehr möglich ist. Zumindest nicht in der jeweils geforderten Zeit.
Für mich stellt sich auch die Frage, ob durch die Fernwärmerohre überhaupt eine Erderwirkung erreicht wird. Solche Rohre sind üblicherweise sehr gut »isoliert« . Somit kann eine Erderwirkung nicht gegeben sein.

Werner Hörmann

PP23063


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