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Vorsicherung und Zuleitungsquerschnitt

Maschinenzuleitung korrekt dimensionieren

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Nehmen wir einmal an, Der Übergabebereich ist die Netzanschlussstelle im Maschinenschaltschrank. Normalerweise gilt hier die Regel:
Betriebsstrom < Bemessungsstrom der Überstromschutz-Einrichtung (ÜSS) < Strombelastbarkeit der Leitung.

Um eine Selektivität der Vorsicherung zu den Leistungsschaltern innerhalb des Maschinenschaltschrankes zu gewährleisten, ist die Vorsicherung gegenüber dem Betriebsstrom überdimensioniert – d. h. die Strom-Zeit-Kennlinien von Schmelzsicherungen und Leistungsschaltern überschneiden sich bauartbedingt über weite Bereiche. Dies führt dazu, dass auch die Zuleitung überdimensioniert wird bzw. werden soll. Die Leistungsschalter innerhalb des Maschinenschaltschrankes sind nach den Angaben der Frequenzumrichter-Hersteller ausgeführt und können nicht verkleinert werden. Auch wenn das Potenzial der Umrichter nicht voll ausgeschöpft wird, wäre der nächstkleinere Umrichter wieder zu schwach. Nun beginnen die Diskussionen über Vorsicherung und Zuleitungsquerschnitt:

  • Variante 1: Vorsicherung und Zuleitung entsprechend überdimensionieren; die Selektivität ist gegeben.
  • Variante 2: Man nimmt eine kleinere Vorsicherung und verzichtet zum Teil auf Selektivität. Der Anschlussquerschnitt kann damit verringert werden.
  • Variante 3: Man verzichtet für die Zuleitung auf den Überlastschutz nach VDE 0100-433, da die Überlast der einzelnen Maschinenkomponenten bereits über die Leistungsschalter im Maschinenschaltschrank sichergestellt ist und eine Überlast der Zuleitung als unwahrscheinlich erscheint. Die Vorsicherung würde der Variante 1 entsprechen und selektiv sein. Aber der Zuleitungsquerschnitt wird »nur« nach Betriebsstrom und Kurzschlussfestigkeit ausgelegt und ist damit kleiner als in Variante 1. [1]

Betrachten wir uns das Szenario nun etwas genauer.

Selektivität als Option

In der Regel ist es natürlich sinnvoll, wenn im Versorgungsstromkreis einer Maschinenanlage die Selektivität nicht unbeachtet bleibt. Bei hohen Betriebsströmen werden für den Schutz bei Überstrom in der Regel NH-Sicherungen vorgesehen, sofern kein Leistungsschalter Verwendung finden soll. NH-Sicherungen dürfen nach DIN VDE 0105-100, Abschnitt 7.4.1.101.3, nur ausgewechselt werden, »(…) wenn Gesichtsschutzschirm und NH-Sicherungsaufsteckgriff mit Stulpe verwendet und durch besonders geschulte elektrotechnisch unterwiesene Personen oder Elektrofachkräfte benutzt werden.« [2] Sollte das zu umständlich sein, wäre die Beachtung der Selektivität angebracht, damit bei Fehlern in der Maschinenanlage der Leistungsschalter im Maschinenschaltschrank auslöst und nicht die vorgeschaltete NH-Sicherung.

Zweck der ÜSS

Überstrom in der Maschinenanlage?

Allerdings sollte man sich vorab die Frage stellen, welchem Zweck die ÜSS im Anfang der Zuleitung zur Maschinenanlage dient. Soll sie den Schutz bei Überstrom in der Maschinenanlage sicherstellen? Wenn jedoch in der Einspeisung des Maschinenschaltschranks bereits ein Leistungsschalter vorgesehen wurde, der genau diese Funktion erfüllt, und darüber hinaus auch die Abgänge dieses Schaltschranks entsprechend abgesichert sind, wäre dies natürlich überflüssig.

Überstrom in der Maschinenzuleitung?

Anderenfalls lautet die Frage: Soll die ÜSS im Anfang der Zuleitung zur Maschinenanlage den Schutz bei Überstrom für die Zuleitung zwischen dem Abgang des einspeisenden Schaltschranks in der elektrischen Anlage und der Einspeisung im Maschinenschaltschrank sicherstellen? In diesem Fall muss weiter gefragt werden, welche Überströme fehler- oder betriebsbedingt im Verlauf dieser Zuleitung entstehen können.

Werden keine anderen Verbraucher als die Maschinenanlage versorgt, und es ist auch keine Steckvorrichtung vor der Einspeisung in den Maschinenschaltschrank vorhanden, müsste lediglich gefragt werden, ob die Einstellung des Leistungsschalters (eingestellter Wert des Überlastauslösers) im Maschinenschaltschrank geeignet ist, auch die Zuleitung bei Überlast zu schützen, was in der Regel der Fall sein dürfte. Gegebenenfalls kann man aus der Auslösezeit des Leistungsschalters (eventuell einstellbar) und dem eingestellten Wert des Überlastauslösers rechnerisch feststellen, ob die Zuleitung geschützt ist.

Kurzschlussschutz

Ist ein Überlastschutz auch der Zuleitung gewährleistet, wäre darüber hinaus allenfalls ein Kurzschluss zu beachten. Hierzu gibt es in der DIN VDE 0100-430 (»Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 4-43 Schutzmaßnahmen – Schutz bei Überstrom«, Abschnitt 433.3.1 folgende Aussage: »Einrichtungen zum Schutz bei Überlast müssen nicht vorgesehen werden: (…) b) für einen Leiter, der üblicherweise Überlastströme nicht führt, vorausgesetzt, dieser Leiter ist entsprechend den Anforderungen von Abschnitt 434 bei Kurzschluss geschützt und weist weder Abzweige noch Steckvorrichtungen auf«. [3]

Für den reinen Kurzschlussschutz kann eine ÜSS mit einem höheren Bemessungsstrom vorgesehen werden. Damit wäre die Selektivität zum nachgeschalteten Leistungsschalter wahrscheinlich gewährleistet. Möglicherweise kann sogar die Hauptsicherung bzw. der Leistungsschalter in der Einspeisung des Schaltschranks der elektrischen Anlage, von dem die Zuleitung zur Maschinenanlage abgeht, den Kurzschlussschutz der besagten Zuleitung übernehmen. In diesem Fall könnte man rein theoretisch sogar auf eine ÜSS am Beginn der Zuleitung verzichten und lediglich eine Trennvorrichtung vorsehen, sofern es erforderlich werden kann, die Zuleitung freizuschalten.

Fazit

Natürlich kann man auch auf alle Überlegungen zum Überstromschutz verzichten und die Leitung einschließlich der vorgeschalteten ÜSS derart überdimensionieren, dass ein Überstromschutz mit Berücksichtigung der Selektivität in jedem Fall gewährleistet ist (Version 1). Niemand hindert den Betreiber einer Anlage, einen Schutz durch Überdimensionierung zu gewährleisten. Ob dies sinnvoll ist, ist allerdings Ansichtssache.

Ebenso möglich ist es, auf die Selektivität zu verzichten, womit im Fehlerfall ggf. die Betriebsunterbrechungszeit verlängert wird (Version 2). Wenn ein Betreiber dies in Kauf nimmt, kann ihm das niemand verbieten.

Quellenangaben

[1] Der Originaltext stammt aus einem Praxisproblem der Zeitschrift »de« (PP22087); die einleitende Problemstellung ist die Anfrage des Lesers

[2] DIN VDE 0105-100

[3] DIN VDE 0100-430

Buchtipp
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Passend zum Thema ein Buch des Beitragsautoren: Auswahl und Bemessung von Kabeln und Leitungen, 8. neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2021, 144 Seiten, Softcover, für den Preis von € 19,50 (D), ISBN 978-3-8101-0556-1, erschienen im Fachbuch-Verlag der Hüthig GmbH.

Das Buch enthält eine fach- und normengerechte Anleitung zur Auswahl von Kabeln und Leitungen und deren Berechnung. In der Neubearbeitung sind alle Änderungen bei Normen, Vorschriften und Richtlinien sorgfältig eingearbeitet. Schwerpunkt des Buchs ist die Auswahl von Kabeln und Leitungen:

  • zum Schutz vor Überstrom nach DIN VDE 0100-430
  • bei besonderen Beanspruchungen
  • mit besonderen Eigenschaften sowie
  • Besonderheiten bei der Planung und Errichtung von Kabel- und Leitungsanlagen.

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Über den Autor
Autorenbild
Dipl.-Ing. Herbert Schmolke

Studium der Energietechnik. Jahrelange Tätigkeit in einem größeren Planungsbüro für Großindustrieplanung und Sonderbau. Er war auch einige Jahre als Berufsschullehrer bei einem privaten Bildungsträger tätig. Seit über 15 Jahren im Einsatz bei VdS Schadenverhütung, Köln. Dort zuständig für die Anerkennung von Experten auf dem Gebiet der Elektrotechnik. Mitarbeit in zahlreichen Normungsgremien und DKE-Arbeitskreisen.

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