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Risiko- und Sicherheitsbewertung (3)

Anwendung bei Planung und Errichtung elektrischer Anlagen (3)

zu Teil 2

Die vorherigen Beitragsteile befassten sich  mit der Vermutungswirkung von VDE-Normen sowie den Themen Risiko, Sicherheit, Gefährdung und dem Inverkehrbringen von Betriebsmitteln. Über die Grundlagen einer Risikobeurteilung kamen wir dann zur Analyse der Risiken, Maßnahmen zur Risikoreduzierung. Abschließend ging es um umfassende Möglichkeiten zur Risikoreduzierung mittels weiterer Schutzeinrichtungen.

Alternative Maßnahmen zu DIN VDE 0100-420?

Grundsätzlich sind Maßnahmen außerhalb der derzeit gültigen VDE-Bestimmungen aus rechtlicher Sicht mir großer Vorsicht zu genießen. Bevor alternative Maßnahmen zur Anwendung kommen, sollten vorerst alle Möglichkeiten der VDE-Bestimmungen ausgeschöpft werden. Hier geht es nun darum, einen möglichst gleichwertigen Schutz mit anderen technischen Maßnahmen sicherzustellen. Neben der Erkennung und Abschaltung von Fehlerlichtbögen können im Rahmen der Risikobewertung auch eine zeitliche Begrenzung sowie ergänzend organisatorische Maßnahmen festgelegt werden. Bei Anwendung der organisatorischen Maßnahmen sollte allerdings das TOP-Prinzip (technisch, organisatorisch und personenbezogene Maßnahmen) beachtet werden.

Leider werden bei solchen alternativen Maßnahmen oft die Schutzziele aus den Augen verloren. Zur Erinnerung: Wir haben mit der Durchführung der Notwendigkeit einer Risiko- und Sicherheitsbewertung Vorkehrungen zur Erkennung und Abschaltung von Fehlerlichtbögen in Endstromkreisen zu bewerten und präventive Maßnahmen zur Erfüllung des Schutzzieles festzulegen (die elektrische Anlage darf keine Brandursache durch Fehlerlichtbögen darstellen). Als typische kompensierende Maßnahmen gelten:

  • Substitutionsmaßnahmen:
    • Änderung der Raumnutzung
    • Weglassen von Endstromkreisen in den Bereichen
  • Auswahl und Verlegung der Kabel und Leitungen
  • brandschutztechnische Einhausung
  • Abschalten der Stromkreise
  • Automatische Brandmelde- und Löschanlagen.

Soll die Verwendung von AFDDs vermieden werden, sind Substitutionsmaßnahmen die erste Wahl. Im Ersten Schritt ist hierzu die angedachte Raumnutzung zu prüfen. Kann auf Räume mit Schlafgelegenheit verzichtet werden? Könnten z. B. anstatt brennbarer nicht brennbare Baustoffe verwendet werden? Dadurch entspräche die elektrische Anlage ohne den Einbau von Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen den gültigen Anforderungen nach DIN VDE 0100-420 Abs. 421.7. Allerdings kann der damit verbundene Mehraufwand sehr hoch sein (Tabelle 5). 

Tabelle 5: Maßnahmen zur Risikoreduzierung nach AMEV in Bezug auf die Raumnutzung
Tabelle 5: Maßnahmen zur Risikoreduzierung nach AMEV in Bezug auf die Raumnutzung

Durch geeignete Auswahl und Verlegung von Kabel und Leitungen oder brandschutztechnische Umhausung wird ebenso versucht den Einbau von AFDDs zu umgehen. Hierzu empfiehlt insbesondere die AMEV die Kabel und Leitungen unter Putz, in zusätzlichen Kanal- und Schutzrohren oder auf nicht brennbaren Materialien zu verlegen bzw. die Verwendung von Kabeln und Leitungen mit verbessertem Brandverhalten. Dadurch wird das Risiko einer Entzündung von Materialien sowie eine Ausbreitung von Bränden reduziert. Allerdings sorgt keine der genannten Maßnahmen für eine sichere Erkennung und Abschaltung von Fehlerlichtbögen, womit das Schutzziel »Die Elektrische Anlage darf keinen Brand verursachen« nicht bzw. nur bedingt erreicht wird.

Zudem bieten diese Maßnahmen keine Erkennung und Brandeindämmung von Fehlern, ausgehend von ortsveränderlichen Betriebsmitteln, die über die Steckvorrichtung im Endstromkreises betrieben werden. Hierzu sind die Qualifikation der Benutzer (Laie, EFK oder EuP) sowie organisatorische Maßnahmen wie beispielsweise Prüfpflichten ortsveränderlicher Betriebsmittel und weitere Maßnahmen zu berücksichtigen. 

Hierzu nennt z. B. die AMEV die Möglichkeit einer zentralen Abschaltung der Endstromkreise für Steckdosen während der Schlafenszeit bzw. außerhalb der Nutzungszeit in Schlafräumen. Damit lässt sich das Risiko eines Fehlerlichtbogens bei abgeschalteten Stromkreisen tatsächlich reduzieren. Allerdings werden diese nicht automatisch erkannt und abgeschaltet. Eine Zeitschaltuhr mit automatischer Abschaltung nach einer bestimmten festgelegten Zeit erfüllt nahezu das Schutzziel. Eine manuelle Abschaltung würde beispielsweise das Schutzziel nicht erfüllen, da hier eine Nutzhandlung erforderlich ist, das wiederum dem TOP-Prinzip entgegensteht.

Als eine beliebte Maßnahme wird auch der Einbau von Abschalteinrichtungen in den betroffenen Endstromkreisen außerhalb der Nutzungszeit genannt. Damit wird das Risiko eines Fehlerlichtbogens und eines Brandes zeitlich begrenzt. Eine automatische Erkennung und Abschaltung erfolgt hier jedoch nicht.

Bei der Umsetzung ist deshalb der menschliche Faktor zu berücksichtigen. Eine manuelle Ein- und Ausschaltung ist mit einer organisatorischen Maßnahme, dem Ausschalten, verbunden, was wiederum vom Nutzer abhängt. Eine automatische Abschaltung stellt hingegen eine technische Maßnahme zum Erreichen des sicheren Zustandes, der Ausschaltung und damit eine zeitliche Begrenzung einer möglichen Gefährdungssituation dar.

Automatische Brandmeldeanlagen und Löschanlagen werden u. a. auch durch die Bauordnungen der Länder bei Sonderbauten und/oder im Rahmen von Brandschutzkonzepten gefordert. Gerne wird mit dem Vorhandensein solcher Anlagen versucht die Notwendigkeit von Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen in Endstromkreisen weg-zu-argumentieren. Automatische Brandmeldeanlagen und Löschanlagen sind für die Gesamtbetrachtung aus Sicht des Brandschutzes von wesentlicher Bedeutung. Allerdings handelt es sich hierbei um reaktive Maßnahmen zur Brandentdeckung und Brandbekämpfung. Lichtbögen und damit Brände ausgehend von elektrischen Anlagen werden damit nicht verhindert.

Prüfungen nach DIN VDE 0100-600

Im Rahmen der Prüfung sind an Fehlerlichtbogenschutzeinrichtungen keine Messungen durchzuführen. Die Messungen gemäß DIN VDE 0100-600 sind für den Nachweis der Wirksamkeit des Schutzes gegen elektrischen Schlag nach DIN VDE 0100-410 erforderlich. Die Maßnahmen zum Schutz gegen thermische Auswirkungen sind hingegen in der DIN VDE 0100-420 festgelegt. Messungen zur Nachweis der Wirksamkeit von Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) sind demnach nicht erforderlich.

Bild 6: Kompletter Prozess einer Risiko- und Sicherheitsbewertung
Bild 6: Kompletter Prozess einer Risiko- und Sicherheitsbewertung

Die Grundlage der Prüfung ist eine Risiko- und Sicherheitsbewertung (Bild 6). Liegt diese vor, muss aus dem Ergebnis die Notwendigkeit von AFDDs für die bestimmten Bereiche hervorgehen. Liegt diese zum Zeitpunkt der Prüfung nicht vor, besteht eine normative Abweichung hinsichtlich der Forderung in DIN VDE 0100-420, Abs. 421.7. Es fehlt somit die Bewertungsgrundlage. Diese ist als Mangel aufzuführen. Ergibt die Risiko- und Sicherheitsbewertung oder geht aus weiteren Obliegenheiten  (z. B. vertraglichen) hervor, dass AFDDs für bestimmte Bereiche vorzusehen sind, ist durch Besichtigen gemäß DIN VDE 0100-600 Abs. 6.4 und den Herstellervorgaben die korrekte Auswahl und Anordnung festzustellen.

Fehlende Herstellervorgaben – z. B. Montage- und Bedienungsanleitung, Typenschilder) und Abweichungen gemäß DIN VDE 0100-600 Abs. 6.3 – sind als Mangel aufzuführen.

Ergibt die Risiko- und Sicherheitsbewertung kein Erfordernis von Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) oder andere Schutzvorkehrungen, und liegen dennoch die nach DIN VDE 0100-420, Abs. 421.7, genannten Bereiche vor, so ist das Ergebnis zu hinterfragen und es sind ggf. weitere Nachweise einzufordern. In jedem Fall sollte der Prüfer auf die Abweichung in seinem Prüfbericht hinweisen.

Fazit

Die Diskussion um den Brandschutzschalter  (AFDD) entledigte sich mit Einführung des normativen Zwanges jeder sachlichen Grundlage. Die einen wollen ihn, die anderen hassen ihn. Mit der neuen DIN VDE 0100-420 Ausgabe Oktober 2019 wich die harte Forderung, Brandschutzschalter in bestimmten Bereichen zu installieren, einer Empfehlung mit Interpretationsspielraum.

Normativ verbindlich ist allerdings von nun an die Durchführung einer Risiko- und Sicherheitsbewertung. Planer, Errichter und Betreiber im klassischen Elektrohandwerk sehen sich damit allein gelassen. Zum einen hat der klassische Elektroinstallateur und Planer klare Vorgaben aus der Norm umzusetzen und zum anderen fehlt es an konkreten Durchführungsanweisung und Vorlagen. Im Rahmen dieses Beitrags wurde die Methodik der Risikobeurteilung der Hersteller auf die Schutzziele der elektrischen Anlagen übertragen. Hierbei ist bei der Auswahl und Festlegung der Maßnahmen immer das Schutzziel zu betrachten.

Der Vergleich der unterschiedlichen Vorkehrungen hat ergeben, dass AFDDs dem Schutzziel am ehesten zuträglich sind, von der elektrischen Anlage  ausgehende Brände durch Fehlerlichtbögen zu verhindern. Ersatzmaßnahmen sind insbesondere aufgrund der normativen Abweichungen mit großer Vorsicht zu genießen.

Mit Einführung der DIN VDE 0100-420 in der Ausgabe vom Oktober 2019 sind Planer, Errichter und Betreiber gezwungen, sich an einen Tisch zu setzten. Letztlich richtet sich allerdings die VDE-0100-Reihe an den Errichter. Ihm obliegt letztlich die rechtssichere Durchführung der Risiko und Sicherheitsbewertung.

Die Installation von AFDDs ist selbstverständlich auch mit zusätzlichen Kosten verbunden. Hier sollte sich der Errichter – sprich: die ausführende Fachfirma – gegenüber Planern und Betreibern rechtssicher abgrenzen. Bei Gebäuden mit elektrischen Anlagen im Bestand kann sich die Notwendigkeit auf Grundlage des Arbeitsschutzes oder privatrechtlicher Vereinbarungen mit dem Sachversicherer ergeben.

Selbstverständlich ist bei Nutzungsänderung eine Anpassung an das aktuelle Regelwerk der VDE zu prüfen. In jedem Fall sind Entscheidungen, entgegen der Empfehlung in bestimmten Bereichen Brandschutzschalter zu installieren, vom Planer und Errichter zu dokumentieren.

Quellenangaben
  • DIN VDE 0100-100 Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 1: Allgemeine Grundsätze, Bestimmungen allgemeiner Merkmale, Begriffe: Juni 2009
  • DIN VDE 0100-420 Errichten von Niederspannungsanlagen - Teil 4-42: Schutzmaßnahmen – Schutz gegen thermische Auswirkungen; Februar 2016
  • DIN VDE 0100-420- Errichten von Niederspannungsanlagen - Teil 4-42: Schutzmaßnahmen – Schutz gegen thermische Auswirkungen; Oktober 2019
  • DIN VDE 0100-530 Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 530: Auswahl und Errichtung elektrischer Betriebsmittel – Schalt- und Steuergeräte: Juni 2018
  • DIN 820-2 Normungsarbeit – Teil 2: Gestaltung von Dokumenten: 2018-09
  • DIN EN ISO 12100 Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung, März 2011
  • CENELEC Guide 32 Leitfaden für die sicherheitsrelevante Risikobeurteilung und Risikominderung für Niederspannungsbetriebsmittel, 1. Ausgabe, 2014-07
  • DIN EN 61557-8 (VDE 0413-8) Elektrische Sicherheit in Niederspannungsnetzen bis AC 1 000 V und DC 1 500 V – Geräte zum Prüfen, Messen oder Überwachen von Schutzmaßnahmen – Teil 8: Isolationsüberwachungsgeräte für IT-Systeme, Dezember 2015
  • Herbert Schmolke: Brandschutztechnische Bewertung und Prüfung elektrischer Anlagen, 2018 VDE Verlag
  • DIN VDE 0105-100 (VDE 0105-100) Betrieb von elektrischen Anlagen – Teil 100: Allgemeine Festlegungen
  • Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG) ArbSchG Ausfertigungsdatum: 7.8.1996
  • Maschinenrichtlinie 2006/42/EG
  • DGUV Vorschrift 3 Elektrische Anlagen und Betriebsmittel, vom 1. April 1979 in der Fassung vom 1. Januar 1997
  • Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU vom 26. Februar 2014
  • EnWG Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG)
  • Maschinenrichtlinie 2006/42/EG
  • DGUV Vorschrift 3 Elektrische Anlagen und Betriebsmittel, vom 1. April 1979 in der Fassung vom 1. Januar 1997
  • Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU vom 26. Februar 2014
  • Arbeitskreis Maschinen- und Elektrotechnik staatlicher und kommunaler Verwaltungen (AMEV) Ergänzung zur EltAnlagen 2015, Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) Fehlerlichtbogen-Schutzeinrichtungen (AFDDs) Stand: 23.6.2017
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Über den Autor
Autorenbild
M.Eng. Dipl.-Ing.(FH) Marc Fengel

Sachverständiger für elektrische Anlagen, Photovoltaikanlagen und Maschinensicherheit, Karlsruhe; https://sv-fengel.de/

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