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Vernetzt, interoperabel, sicher?

Rückblick ZVEI-Kolloquium Gebäudeautomation 2023

ZVEI-Kolloquium Gebäudeautomation
Gespannt schauten die Referenten auf die eingeblendeten Ergebnisse der Live-Umfrage unter den Teilnehmern des ZVEI-Kolloquiums Gebäudeautomation
(Bild: Kalscheuer)

Zum Standards Evening begrüßte Adalbert Neumann (Vorsitzender ZVEI-Fachabteilung Gebäudeautomation und CEO Busch-Jaeger Elektro) die Teilnehmer im alten Schachthof Offenbach und übergab die Bühne für die kurzen Breaking News der Standards an Hans-Joachim Langels (Vorstand KNX Deutschland). Langels stellte KNX mit seinen 500 Herstellern und mehr als 117.000 Partnern als Dialogplattform für alle am Bau Beteiligten vor und unterstrich die Bedeutung von KNX für die Raumautomation und das integrierte Energiemanagement. Geräte mit einer KNX IoT Point API sollen zukünftig vermehrt dazu beitragen, dass die Interoperabilität zwischen der Haus- und Gebäudesystemtechnik verschiedener Hersteller mit unterschiedlichen Protokollen und das Zusammenspiel von KNX mit Nicht-KNX-Geräten gegeben ist. 

Verschiedene Wege der Gebäudeautomation

Interoperabilität von kommerziellen Gebäudetechnikanwendungen sollen auch beim proprietären Verbindungsstandard für die Hausautomatisierung Matter mehr in den Mittelpunkt rücken. Tim Böth, Brand Manager des ABB-Unternehmens Eve Systems, legte dar, dass man nun weniger die bisher über Apple, Google und Samsung erreichte Zielgruppe der Endkunden adressieren werde, sondern sich auch den Systemintegratoren und Profi-Installateuren zuwenden möchte. Dazu sollen auch neue Matter-fähige Gerätekategorien beitragen, wie beispielsweise Rauchmelder und CO-Melder.

Als ganzheitliche Plattform für digitale Gebäudetechnik versteht sich auch die Lösung wibutler. Michael Jüdiges (CEO Connectivity Solutions) stellte das Mittelstands-Joint-Venture DBT Digital Building Technologies vor, in dem die Gesellschafter (u.a. Bega, Viessmann, Oventrop und Eltako) die herstellerübergreifende Vernetzung von Geräten mit wibutler bis hin zu cloudbasierten Smart-Building-Lösungen weiterentwickeln.

Einen weiteren Standard der Gebäudeautomation präsentierte Peter Kellendonk, Vorstand Eebus. Auch hier sorgt die Kommunikationsschnittstelle, die mit WLAN, KNX und Thread kompatibel ist und im Smart-Meter-Gateway genutzt wird, für die Interoperabilität mit verschiedenen Smart-Home- und Smart-Grid-Technologien, wobei die übergreifende Kommunikation für eine Optimierung der Gebäudeautomation sorgen soll.

Zahl der verfügbaren Standards muss endlich sein

Was die verschiedenen Standards für die Gebäudeautomation bedeuten, wurde im vom Johannes Hauck (Hager Electro) moderierten Talk deutlich. Zwar verbessere Wettbewerb Lösungen, so der Konsens der Talkrunde, aber die Zahl der im Markt verfügbaren Standards müsse endlich sein. Ansonsten seien Updates in der Praxis nicht mehr handelbar. Zwar würden sich wohl kaum alle Wettbewerber zusammenschließen, aber die Interoperabilität von Produkten untereinander, der problemlose Austausch von Geräten und Rückwärtskompatibilität zum Investitionsschutz seien die Basis für eine funktionierende Gebäudeautomation.

Dabei stand für alle Referenten fest, dass der Endkunde nicht zum Systemintegrator werden soll. Endkunden wollen nicht programmieren, sondern die vom Fachhandwerker eingerichteten Funktionen und konfigurierten Szenen nutzen, fasste Hans-Joachim Langels zusammen. Wichtig sei dabei, den Markt nicht den US-Konzernen zu überlassen, die beispielsweise mit Alexa und Siri bereits das Segment der proaktiven Sprachassistenz besetzt haben.

Wachsender Energiehandel zwischen Prosumern

Vortrag_Hager Gebäudeautomation
Dr. Torsten Hager sah den Leistungshandel in Wohnquartieren als Treiber für die Gebäudeautomation

Der zweite Veranstaltungstag wurde von Hajo Deul (Referent Fachverband Elektroinstallationssysteme im ZVEI) und Adalbert Neumann eröffnet. Sie stellten fest, dass Künstliche Intelligenz und vorbeugende Instandhaltung in der Gebäudeautomation angekommen ist, wobei man außerhalb Deutschlands bereits einige Schritte voraus sei. Dr. Torsten Hager (Hager Electro) identifizierte u.a. den Peer-to-Peer-Leistungshandel in Wohnquartieren als einen Treiber für die Gebäudeautomation. Viel noch zu hebendes Potenzial sah Dr. Hager rund um Klima-, Lüftungsanlagen, Wärmepumpen, mobile Speichersysteme (E-Autos) und verteilte PV-Speicher, die das Energiemanagement orchestrieren muss.

Dr. Hager prophezeite, dass sich ein wachsender Handel von Energie zwischen Prosumern etablieren werde – entweder direkt oder über Zwischenhändler. Bei zunehmendem Peer-to-Peer-Leistungshandel müsse allerdings der Überlastungsgrenze der Stromnetze durch intelligente Infrastruktur und selbstregulierenden Systemen begegnet werden, um weiterhin die notwendige Netzstabilität zu gewährleisten.

Wandel vom Produkt- zum Servicegeschäft

Vortrag_Höttecke Gebäudeautomation
Auf das „ZVEI Leitbild Gebäudeautomation 2023“ warf Prof. Dr.-Ing. Martin Höttecke einen näheren Blick

Prof. Dr.-Ing. Martin Höttecke (Fachbereich Energie, Gebäude, Umwelt der FH Münster) warf einen näheren Blick auf das „ZVEI Leitbild Gebäudeautomation 2030“. Er bezeichnete die Automation von Gebäuden, auf die rund 35 % des Energieverbrauchs entfallen, als einen wichtigen Ansatz für die Problemlösung beim Klimawandel. Nicht zuletzt der digitale Lebensstil, KI und regulatorische Trends (wie das Gebäudeenergiegesetz oder Cybersicherheit) sorgen dafür, dass Gebäude nachhaltig betrieben und Prozesse und Produkte zu 100 Prozent vernetzt werden müssen.

ZVEI-Talkrunde Gebäudeautomation
Die zweite Talkrunde befasste sich mit dem zukünftigen Markt der Gebäudeautomation

Er fasste zusammen, dass die Gebäudeautomation in den kommenden Jahren mit immer größeren Stückzahlen zum Massenmarkt werde, bis sich ein Wandel vom Produkt- zum Lösungs- und Servicegeschäft vollziehe. Schon heute seien einfache Installation und automatische Datenauswertung in Zeiten des Fachkräftemangels und des „intelligenten Gebäudes“ unverzichtbar, so Höttecke, der auch die anschließende Talkrunde rund um den Markt der Gebäudeautomation der Zukunft moderierte.

Automation „on the edge“ statt in der Cloud

Mit den Vorteilen und Risiken von IoT in der Gebäudetechnik befasste sich der Vortrag von Christian Kiefel, CEO von ProKNX. Er erläuterte, wie die rund 35 Milliarden Produkte, die aktuell im Internet der Dinge miteinander vernetzt sind, ihren Beitrag zu Komfort, Energiesparen, Fernüberwachung und vorausschauender Wartung leisten.

Vortrag_Kiefel Gebäudeautomation
Christian Kiefel warnte vor möglichen Sicherheitsrisiken bei Cloudlösungen für Gebäudetechnik

Der übliche Kommunikationsweg verläuft dabei beispielsweise bei Sprachbefehlen von einem Online-Sprachassistenten über einen Internetrouter, einen Clouddienst wie Amazon hin zu einem auswertenden Skill Server und ein Third-Party-Gateway bis zum eingeschalteten Licht. Dabei muss die Tür zwischen Skill Server und Gateway permanent offen sein, was sicherheitstechnisch ein enormes Risiko darstellt. Mit jedem aktivierten Skill im Internet of Things wird das lokale Netz über dieses Gerät zugänglich und bietet potenzielle Angriffspunkte für Unbefugte.

Zwar gebe es Lösungen wie „Aragon“ (Teil der ProKNX-Produktlinie, die eine Offline-Sprachsteuerung lokal auf dem Gerät statt Cloud-Services nutzt), bei der Daten geschützt im Haus bleiben, aber Kiefel regte an, generell darüber nachzudenken, ob Automation nicht öfter lokal „on the edge“ erfolgen könne, zumal bisher genutzte Clouddienste jederzeit plötzlich kostenpflichtig oder abgeschaltet werden können.

Mobile Speicher stationär verwenden

Vortrag_Junker Gebäudeautomation
Mark Junker stellte die Bedeutung von Speichersystemen bei der Energiewende heraus

Das Thema Speichersysteme und Energieflussmanagement in Gebäuden wurde von Mark Junker (RWTH Aachen) beleuchtet. Er stellte dar, dass die Energiewende auf Speichersystemen aufbaut – vom Batterieheimspeicher bis 30 kWh über Industriespeicher mit mehr als 1 MWh bis hin zu Großspeichern. Beim Thema Batterieheimspeicher lenkte er die Aufmerksamkeit auf das Potenzial der Elektrofahrzeug-Speicherung, die gemessen an der Kilowattstunde günstiger sei als Heimspeicher. Er riet dazu, mobile Speicher aus Elektrofahrzeugen, die eine Großteil an der Gesamtspeicherkapazität in Privathäusern ausmachen, aber zu 97 Prozent der Zeit nicht genutzt werden, bewusst als Stromspeicher für den eigenen Haushalt zu integrieren (Vehicle to Grid, gesteuertes bidirektionales Laden).

Darüber hinaus sei auch ein „Second Use“ von Fahrzeugbatterien in Betracht zu ziehen, also die Nutzung der Speicher nach ihrem Einsatz im Fahrzeug. Denn immerhin bleibe am „Lebensende“ der Fahrzeugbatterien noch eine Ladekapazität von rund 70 Prozent erhalten, die weiterhin stationär genutzt werden könnte.

Löcher in der Vertrauensgrenze und Risiko-Multiplikatoren

Dezentrale Speichersysteme und erneuerbare Energien bezeichnete auch Raimund Thiel als das Rückgrat der zukünftigen Energieversorgung. Er widmete sich zusammen mit Dr. Ingo Hanke (beide SMA Solar Technology) dem Thema Cloud-basierte Geschäfts- und Servicelösungen. Wichtig sei, dass bei der notwendigen digitalen Vernetzung Cybersecurity von Anfang an mitbetrachtet werde. Vor allem, wenn bisher isolierte Systeme wie z.B. Wechselrichter nun einen Internet- und Remote-Zugriff erhielten. Die Anbindung an das Internet schaffe Löcher in der Vertrauensgrenze und die Cloud-Anwendung werde zum Multiplikator von Risiken: Der Angreifer muss nur das Cloud-System angreifen, um Schaden anzurichten. Dies sei insbesondere für nationalstaatliche Angreifer attraktiv, die cloudbasierte Kritische Infrastrukturen im Visier haben.

Für cloudbasierte Systeme sind zusätzliche Schutzmaßnahmen nötig, die technologisch unabhängig voneinander sein müssen – vom Perimeter (Firewalls) über Authentifizierung und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Kommunikation und Monitoring (Anomalie-Detektion) bis hin zur Endpoint-Security auf dem Endgerät. Die Referenten stellten als Lösung exemplarisch die sichere IoT-Plattform mit AES-256-Verschlüsselung „SMA Webconnect“ und das Endkunden-Produkt „SMA Smart Connect“ vor.

Die Grenzen vortrainierter Chatbots

Die Chancen und Grenzen von ChatGPT stellte Marcel Cygon, Field Application Engineer bei Wago, vor. Zwar sind die Möglichkeiten hilfreich, die sich durch Künstliche Intelligenz bei medizinischer Diagnostik und dem Abbau von Sprachbarrieren eröffnen, aber der Chat Generative Pre-trained Transformer (kurz: ChatGPT) ist mit Vorsicht zu genießen. Das nur 800 GB an Daten umfassende angelernte Wissen des KI-Chatbots reicht laut Marcel Cygon bis Januar 2022, danach wurden keine aktuellen Informationen aus der Fachliteratur mehr eingespeist. Somit kann der Chatbot nicht nur durch gezieltes Feedback beeinflusst werden, sondern auch Falschinformationen verbreiten und Kriminellen beim Erstellen von Schadcode helfen.

Regelmäßige Wartung der Infrastruktur

Vortrag_Grassmann Gebäudeautomation
Ernst Graßmann präsentierte Cyber-Sicherheitskonzepte für die Gebäudeautomation

In seiner Keynote zum Thema Cyber-Sicherheitskonzepte von Gebäudeautomation erinnerte Ernst Graßmann (Geschäftsführer Braintop) ebenfalls an die Risiken vernetzter Technik. So bemängelte er, dass Gebäude-IT und IoT-Geräte im Zweckbau oft eine Lebenszeit von bis zu 20 Jahren haben, allerdings keine regelmäßige, gesteuerte Kontrolle oder Wartung der Infrastruktur stattfinde, was dem Einbringen von Schadsoftware Vorschub leiste. Auch sollte man sich die Frage stellen, wo die genutzte Cloud geografisch verortet sei und wer diese eigentlich betreut.

Das Fazit von Ernst Graßmann nach dem Motto „Vertraue nie, prüfe immer“: Switche müssen administrierbar sein, Netzwerke müssen geplant und dokumentiert sein, das WLAN muss segmentiert sein, die Passwortrichtlinien müssen umgesetzt werden und das Patchmanagement benötigt festgelegte Zuständigkeiten. So ist man besser gewappnet für die digitale Transformation der Gebäudeautomation.

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Britta Kalscheuer

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ZVEI - Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie e. V.
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