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Vereinbarkeit von Big Data und Datenschutz

Round Table zur Smart City

Round-Table Smart City
Die Teilnehmer des virtuellen Round Tables Smart City (von links oben): Dietmar Bethke, Ulf Hüther, Prof. Dr. Clemens Gause, Jochen Sauer und Dr. Michael Gerz

(Bild: Axis Communications)

Am virtuellen runden Tisch nahmen Platz: Dietmar Bethke (Leiter Neue Technologien und Smart City, comNet GmbH), Dr. Michael Gerz (Leiter der Abteilung „Informationstechnik für Führungssysteme“ (ITF), Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE), Ulf Hüther (Director Smart City Europe, G2K Group) und Jochen Sauer (Architect & Engineering Manager, Axis Communications). Moderiert wurde der Round Table von Prof. Dr. Clemens Gause (Geschäftsführer Verband für Sicherheitstechnik e.V. VfS).

Dietmar Bethke: Zu Beginn muss man sich die Frage stellen, wie smart die deutschen Städte bereits sind. Ich habe anfänglich immer gesagt, smart ist gleich digital. Mittlerweile würde ich jedoch behaupten, das stimmt nur noch zur Hälfte. Smart ist nicht automatisch nur digital. Smart hat auch viel mit Strukturen, Wandel, Prozessen und Arbeitsweisen in Städten zu tun. Heute gibt es daher bereits einige smarte Lösungen in deutschen Städten. Der entscheidende Punkt ist: Es hat schon immer Daten in Städten gegeben – nicht nur im kommunalen Bereich, sondern auch über Geoinformationssysteme. Jetzt gilt es, sich stärker zu öffnen und auch über Open Data nachzudenken. Es geht darum, der Community in der Stadt Daten zur Verfügung zu stellen und künftig die gesamte Gesellschaft an der Realisierung smarter Lösungen teilhaben zu lassen. Dafür gibt es bereits gute Beispiele, aber es ist definitiv noch Luft nach oben.

Ulf Hüther: Auf dem Smart City Expo World Congress in Barcelona war ich in diesem Jahr positiv überrascht, wie gut Deutschland auf der Messe repräsentiert war und wie viel Innovationskraft unser Land bereits mit auf den Tisch bringt. Ich bin überzeugt, dass wir beim Thema Smart City innerhalb Europas sehr gut mitsprechen können, sofern wir in den kommenden Jahren die richtigen Schritte gehen.

Eine der größten Herausforderungen aktuell ist sicherlich, die Open-Data-Thematik in die Masse zu treiben. Damit dies gelingt, muss man sich letztlich fragen, was der größte Return-on-Investment für eine Stadt ist: Es ist der zufriedene Einwohner, der der Stadt erhalten bleibt und nicht zu einer konkurrierenden Stadt abwandert. Es stellt sich also die Frage, inwieweit man die Öffentlichkeit bei Smart-City-Projekten mit ins Boot holen kann. Fakt ist: Die Datentöpfe sind in Städten zum Großteil bereits vorhanden. Aber man hat sie noch nicht in einen kompletten Insight gepackt, um ein komplexes Szenario, beispielsweise das Energiemanagement einer Stadt prüfen zu können. Wo sind die größten Verbraucher? Wo kann man gezielt Kampagnen fahren, um das Energiemanagement in einer Stadt effizient zu betreiben? Hier gibt es bereits viele Ansätze. Innerhalb Europas gibt es auch bereits einige Länder und Städte, die aktiv auf diese Themen reagieren. Oft handelt es sich dabei um Länder, die viel in den Bereich Informatik investieren und in denen viele Start-ups aktiv sind.

Gibt es konkrete Beispiele, die die deutsche Innovationskraft im Bereich Smart City belegen?

U. Hüther: Meine Einschätzung fußt zum einen natürlich auf Gesprächen, die wir in Barcelona mit Städten und Kommunen geführt haben. Diese sind beispielsweise daran interessiert, ihren öffentlichen Nahverkehr so zu gestalten, dass Bewohner und Bewohnerinnen nicht mehr drei Fahrzeuge zu Hause stehen haben. Zahlen haben kürzlich gezeigt, dass die Anzahl der Fahrzeuge in Städten bzw. in Privathaushalten trotz Corona wieder gewachsen ist. Das gilt es, umzudrehen. Kommunen müssen sich fragen, wie sich ihre Bewohner und Bewohnerinnen in der Stadt smart bewegen können.

Dazu ein Beispiel aus dem Mittleren Osten, wo Städte von Grund auf intelligent geplant werden: Wenn eine Stadt aufgrund einer korrelierten Datenwelt weiß, wie viel Parkplätze verfügbar sind, wie die Verkehrslage ist und wo Engpässe entstehen, kann sie ihren Bewohnern beispielsweise mitteilen, dass es heute besser wäre, auf den öffentlichen Nahverkehr zurückzugreifen, anstatt mit dem Auto 80 Minuten im Stau zu stehen oder 35 Minuten auf einen Parkplatz zu warten. In einer App können Städte ihren Bewohnern zusätzlich Park-and-Ride-Parkplätze oder nah gelegene Bahn- und Bushaltestellen anzeigen. Über die App lässt sich dann auch eine gesamte Verkehrserhebung vornehmen, um herauszufinden, wie viele Bewohner einer Stadt sich mit dem Fahrrad bewegen, wie viele den öffentlichen Nahverkehr oder Elektroroller nutzen. Daraus können wiederum Rückschlüsse gezogen werden, zum Beispiel, dass Fahrradwege ausgebaut werden müssen. All das erreicht man jedoch nur über einen Big-Data-Ansatz, der ein Gesamtbild auf die komplexe Lage liefert. Aktuell wird daher insbesondere diskutiert, wie man an diese Daten kommt und wie man sie miteinander korrelieren kann.

Vom öffentlichen Nahverkehr bis hin zur Kurzmiete von Fahrzeugen – welche Herausforderungen ergeben sich durch den „Modal Shift“ und die Nutzung unterschiedlicher Transportmittel?

D. Bethke: Eine zentrale Herausforderung beim Modal Shift ist die Vielzahl der Beteiligten. Verkehrs- und Transportmittel können nicht aus einer Hand angeboten werden. Dadurch entsteht ein gewisses Wettbewerbsdenken und es geht zu Lasten der Transparenz. Bei Verkehrsträgern denken wir zunächst an Busse und Bahnen, doch müssen wir hier auch Leute miteinschließen, die Geld damit verdienen, dass noch Autos über die Straßen fahren. Hier herrschen also auch wirtschaftliche Interessen vor. Welche Verkehrsmittel zur Verfügung stehen, kann heute bereits über Apps abgebildet werden. Herausfordernder sind die begrenzten Flächen in unseren Städten. Man muss prüfen, wie viel Prozent der Fläche man überhaupt für alternative Verkehrsangebote wie Radwege erhalten kann. Im europäischen Ausland gibt es meiner Meinung nach Städte, die das schon besser machen als Deutschland. Bei uns haben eindeutig Autos noch das Sagen.

Könnte ein Modal Shift in Deutschland mithilfe von Smart-City-Konzepten vorangetrieben werden?

Jochen Sauer: Meiner Meinung nach müssen wir uns zunächst mehr Gedanken machen, wie und wann wir den Verkehr am besten nutzen. Dafür brauchen wir valide Daten. Doch fällt es teilweise noch schwer, diese zu erheben. Wenn wir uns zum Beispiel auf Daten von Google beschränken, liegen nur globale Informationen vor. Wir wissen also, dass wir während Corona weniger Staus gehabt haben, aber nicht, in welchem genauen Raster – Stadt oder Ortsteil – das der Fall war. Hier gilt es, Ansätze für die lokale Datenerhebung zu finden. Wir müssen Impulse geben, auch in Richtung der Politik, um im Bereich Smart City weiter voranzukommen und insgesamt mehr Interesse am Thema zu generieren.

Maastricht Smart City
Auf dem Weg zur Smart City: die niederländische Universitätsstadt Maastricht

(Bild: Axis Communications)

Entscheidend ist, dass die Bürger und Bürgerinnen, die letztlich von Smart-City-Lösungen profitieren, verstehen, warum diese eingeführt werden. Smart-City-Sensoren sind Werkzeuge, die Daten erheben. Nicht mehr und nicht weniger. Wie die Daten weiterverarbeitet und intelligent verknüpft werden, ist erst der zweite Schritt.

U. Hüther: Viele Projekte werden in der Praxis bereits im Keim erstickt, weil sie eine viel zu lange Laufzeit haben, die Budgets nicht vorhanden sind oder die Aufklärung nach außen komplett fehlt. Gerade wenn wir über Daten und damit auch über Datenschutz sprechen, ist es aber essenziell, aufzuzeigen, was genau mit solchen Daten passiert. Städte denken oftmals zuerst über Effizienz nach und wie viel Geld sie sich mithilfe von Smart-City-Konzepten sparen könnten. Doch geht es für mich bei Smart City zunächst um die Intelligenz, die eigene Bevölkerung mit abzuholen und sie mit in das Projekt einzubinden. Bürger müssen wissen, für welchen Zweck die Daten eingesetzt werden.

Jeder ist sicherlich schon einmal hinter einem Müllfahrzeug hinterhergefahren, das einen kilometerlangen Stau verursacht hat. In einem solchen Fall ist das Müllmanagement nicht intelligent genug. Man könnte Müllmanagement heute so betreiben, dass nur noch Tonnen abgeholt werden, die wirklich voll sind. Städtebewohner könnten über eine App Müllfahrzeuge bestellen, wenn sie ihre Tonnen leeren wollen und damit nur noch für das bezahlen, was sie auch wirklich an Müll produzieren. Für die Abholung kann Müllfahrzeugen mithilfe von Daten zur Verkehrslage die beste Route vorgegeben werden, um Staus zu vermeiden. Das wäre effektiv und smart.

Intelligentes Müllmanagement ist ein schönes Beispiel, wie man mit ganz einfachen Methoden bereits relativ starke Effekte erzielen kann.

J. Sauer: Die niederländische Stadt Almere hatte das Problem, dass Gaststätten aufgrund zu hoher Kriminalität in der Innenstadt nicht ausgelastet waren. Alle Stakeholder haben sich daher zusammengeschlossen, um Lösungen zu finden, die Stadt wieder lebenswerter zu gestalten. Der Zusammenschluss verschiedener Interessensvertreter ist dabei essenziell, um Lösungen zu finden, die auch wirklich funktionieren. So unterstützt Videosicherheitstechnik in Almere die Polizei inzwischen dabei, Hotspots für Aggression einzusehen. Dabei muss niemand 24/7 hinter der Kamera sitzen. Mithilfe akustischer Sensoren können Aggressionen im ersten Schritt erkannt werden. Eine Kamera schwenkt dann zu der entsprechenden Situation und die Polizei wird über intelligente Kommunikationseinheiten über die Lage informiert, bevor zum Beispiel eine Massenschlägerei entsteht. Das macht eine Stadt intelligenter. Und es entsteht ein Benefit, indem beispielsweise Umsätze in Restaurants hochgehen, weil Besucher sich wieder wohlfühlen.

Dr. Michael Gerz: Interoperabilität ist hier ein wichtiges Stichwort. Wir müssen sicherstellen, dass verschiedene Systeme miteinander Informationen austauschen können – und zwar so, dass beide Systeme dabei das gleiche Verständnis der Daten haben. Was ich bisher noch nicht beobachten kann, ist, dass wir städteübergreifend zu Lösungen kommen. Ich war letzten Freitag zum Beispiel in einer mittelgroßen Stadt bei einer Großveranstaltung und habe allein 45 Minuten gebraucht, um einen Parkplatz zu finden. In der Stadt gab es kein Verkehrsleitsystem. Aber selbst wenn es eines gegeben hätte, hätte ich es vermutlich nicht nutzen können, weil ich die passende App nicht rechtzeitig gehabt hätte. Wir brauchen daher Interoperabilitäts-Lösungen, die auch Personen, die nicht in dieser Stadt wohnen oder die nicht tagtäglich mit dieser Art von Services umgehen, nutzen können. Hier sehe ich einen großen Handlungsbedarf. Wir dürfen nicht zulassen, dass Insellösungen, sogenannte Datensilos entstehen, sondern müssen uns für übergreifende Lösungen einsetzen. Dabei ist es wichtig, dass die Städte Herr über die Daten bleiben – im Sinne von Datensouveränität – und zu gemeinsamen Lösungen kommen. Gerade in einem föderalen System ist das natürlich nicht einfach.

U. Hüther: Die Wirtschaft hat gelernt, immer mehr in Schnittstellen und in offenen Plattform-Lösungen zu denken. In unseren Bundesländern leben wir jedoch in Insellösungen und Datensilos. Nicht einmal in einem Land wie Baden-Württemberg schaffen wir es, dass Städte wie Freiburg, Stuttgart und Karlsruhe einen gemeinsamen Nenner finden. Und das, obwohl eigentlich alle das gleiche Ziel haben sollten – und zwar die Bevölkerung glücklich zu machen und sich selbst effizient und nachhaltig aufzustellen.

Stichwort Nachhaltigkeit: Fehlt es in Deutschland an einer entsprechenden Wertehaltung, um das Thema konsequent in Städten durchzusetzen?

U. Hüther: In Ländern wie Ägypten wird tatsächlich bereits sehr stark auf Nachhaltigkeit geachtet. In der Planstadt Neu-Kairo, in der es Wasser nicht einfach an jeder Ecke gibt, werden zum Beispiel Flächen nicht bewässert, ohne vorher die Wettervorhersage kontrolliert zu haben, um zu prüfen, ob es eventuell bald regnet. Auch Licht wird hier nicht in Übermaß angeboten. Über Smart Poles kann die Stadtverwaltung Licht in Zeiten, in denen an den Masten nur wenig Aktivität gemessen wird, dimmen. Bewohner können Lichtmasten über eine App zudem selbst einschalten. Bei uns ist ein solches Energiemanagement auf kommunaler Ebene noch nicht vorhanden. Nachhaltigkeit könnte ein großes Thema für Städte sein, wenn sie es richtig anpacken, die richtigen Daten erheben und die richtigen Rückschlüsse daraus ziehen. Dafür braucht es aber auch genug Datenanalysten, die in der Lage sind, Daten zu lesen und auszuwerten. Wenn Städte jedoch nicht bereit sind, diesen Analysten ein angemessenes Gehalt zu zahlen, wird eine Stadt auch nie smart werden.

Eine Stadt ist ein Ökosystem, das sich aus vielen verschiedenen Puzzleteilen zusammensetzt, um ein komplettes Konzept zu ergeben. Und genau daran scheitert es häufig. Städteplaner erkennen heutzutage oft das große Ganze nicht, auch weil in den Städten selbst oft noch keine Use Cases vorhanden sind. Sie müssen also erst einmal verstehen, welche Möglichkeiten es beispielsweise im Bereich intelligentes Energie- oder Wassermanagement schon gibt und wie Big-Data-Korrelation hier funktionieren kann. Dann gilt es herauszufinden, welche Daten für die gewünschten Einsatzzwecke bereits vorhanden sind und diese schließlich zusammenzuführen.

Datensätze sind in der Tat überall vorhanden. Wir müssen sie nur, auch mithilfe von KI, nutzbar machen. Gibt es in Deutschland dafür schon Erfolgsgeschichten?

D. Bethke: In der Stadt Gelsenkirchen erproben wir seit mehreren Jahren Technologien und entwickeln Strukturen. Dabei setzen wir auf eine Art Guerillataktik, um in der Stadt auch neue Kommunikationswege zu etablieren. Digitalisierung ist immer eine Querschnittsaufgabe. Sie kann in einer Verwaltung, die in Silos organisiert ist, nicht vorangetrieben werden. Im ersten Schritt bauen wir daher Netzwerke auf und versuchen zu verstehen, was wir an Menschen und Funktionalitäten in einer Verwaltung brauchen, um technische Projekte umsetzen zu können. Im Rahmen von Förderprojekten hatten wir hier auch die Freiheit zu scheitern, Dinge zu evaluieren und herauszufinden, was gut funktioniert und was nicht. Digitalisierung ist für mich ein Prozess, der über das Scheitern zum Erfolg führt.

In Gelsenkirchen haben wir ein Wettermessnetz etabliert, weil es keine Wettermessstationen des Deutschen Wetterdienstes und damit kein zuverlässiges engmaschiges Wetternetzwerk in der Stadt gab. Mikroklima ist für Städte jedoch sehr wichtig. In heißen Sommern gibt es zum Beispiel Plätze, auf denen man sich aufgrund von Hitze nicht aufhalten kann. In einer Nebenstraße wäre es hingegen viel kühler. Diese Dinge gilt es auch für die Stadtplanung zu erfassen. Wir haben daher in Gelsenkirchen rund 30 Wettermessstationen verbaut und wollen dies demnächst auf etwa 60 Stationen ausbauen. Das Klima zu verstehen ist für eine Stadt sehr wertvoll, die Technik dahinter nur überschaubar kompliziert. Entscheidend ist, die entsprechenden Strukturen dafür in Städten zu schaffen.

M. Gerz: Wenn wir uns im FKIE mit Führungssystemen beschäftigen, dann interessieren uns auch bestimmte offene Daten, die wir in das System integrieren, um ein gesamtes Lagebild zu erhalten. Einige Kommunen und Städte bieten hier beispielsweise Informationen über den Verkehrsfluss. Mithilfe dieser lässt sich erkennen, wo Staus sind. Mit entsprechenden Analysen kann man zudem herausfinden, ob es bestimmte Tage, bestimmte Uhrzeiten oder bestimmte andere Faktoren gibt, zu denen immer wieder Staus auftreten. Man kann aber auch noch einen Schritt weitergehen und die Ist-Lage mit der Lage, die einem vom System prognostiziert wurde, vergleichen. So könnte man zum Beispiel Staus zu einer Zeit feststellen, zu der diese nicht typisch sind. Dieser Rückschluss kann verdeutlichen, dass irgendetwas passiert ist, sei es eine Demonstration, ein Verkehrsunfall oder ein anderes besonderes Ereignis.

Bei Wetterdaten gibt es beispielsweise verschiedene Anbieter im Internet, die Daten von privaten Wetterstationen sammeln und zur Verfügung stellen. Daten werden also nicht mehr nur von lokalen Behörden, Verwaltungen oder vom Deutschen Wetterdienst erfasst, sondern auch von Personen, die zu Hause eigene kleine Wetterstationen betreiben. Die Frage der Datensouveränität spielt hier daher ebenfalls eine zentrale Rolle. Wir haben auf der einen Seite unterschiedliche Stakeholder, die Daten erfassen, analysieren und zur Verfügung stellen und wir haben auf der anderen Seite auch unterschiedliche Nutzer und Nutzerinnen. Wenn wir über Big Data sprechen, müssen wir daher immer im Hinterkopf behalten, dass es hier nicht um einen großen Topf geht, in den wir alle Daten hineinwerfen. Stattdessen herrschen sehr heterogene Strukturen und unterschiedlichste Player vor, die alle auf kleinen Daten-Töpfen sitzen. Wir müssen daher sicherstellen, dass jeder die richtigen Daten zur richtigen Zeit und zum richtigen Zweck erhält.

Entscheidend ist also, Daten zwischen verschiedenen Stakeholdern auszutauschen und Datensilos aufzulösen?

D. Bethke: Ich bin nicht der Meinung, dass Städte für Smart-City-Projekte mit Sensoren gepflastert werden müssen. Erstmal sollten wir prüfen, was schon an guten, verlässlichen Daten vorliegt. Hat man die Daten gefunden und bewertet, ist der nächste Schritt, sie in einem Open Data Space transparent zur Verfügung stellen – wie in einer Bibliothek. Eine urbane Daten-Plattform sollte der Ort sein, wo alle städtischen Daten möglichst offen jedermann zur Verfügung stehen. Um Ideen im Smart-City-Kontext zu entwickeln, muss man das freie Spiel zulassen.

U. Hüther: Das birgt natürlich auch eine sehr große Gefahr von außen. Wenn man Daten als solche komplett der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, sind sie öffentlich für jeden und damit auch für Akteure, die die Daten missbräuchlich nutzen könnten, um bestimmte Rückschlüsse auf eine Stadt zu ziehen. Es muss daher schon eine gewisse Koordination der Daten geben.

J. Sauer: Aus meiner Sicht ist die Definition der Zweckbindung entscheidend, um gemeinsam mit allen Stakeholdern den richtigen Weg in Richtung Datenschutz einzuschlagen. Daten dürfen nur für einen vorab definierten Zweck erhoben werden. Zudem muss sichergestellt sein, dass große Datenmengen für alle beteiligten Stakeholder derart nutzerspezifisch aufbereitet werden, dass sie den Zweck, zu dem sie erhoben wurden, auch erfüllen können. Wenn eine Stadt es ihren Bürgern also mithilfe von Daten ermöglichen will, Staus zu umfahren, dürfen Daten auch nur zu diesem Zweck erhoben und entsprechend analysiert werden. Wenn auf einem Kinderspielplatz DSGVO-konform sichergestellt werden soll, dass sich nachts keiner dort aufhält, ist eine optische Sicherheitstechnik nicht geeignet. Stattdessen wäre Radartechnik zum Beispiel ein intelligentes Werkzeug.

Zurück zum Open Data Space: Würden Durchschnittsbürger einen solchen aufsuchen, um selbst Datenanalysen vorzunehmen? Oder braucht es nicht konkrete Services, auf die sie einfach zurückgreifen können, um beispielsweise Staus zu umfahren?

D. Bethke: Der Ansatz kann tatsächlich nicht sein, dass Bürger, die in einer Stadt von A nach B fahren wollen, sich zunächst in einem Open Data Portal die Daten dazu heraussuchen müssen. Stattdessen werden die Daten von Wissenschaft oder Start-ups genutzt – also von Einheiten, die mithilfe der Daten Lösungen entwickeln, die dann, wie Google Maps, von Bürgern genutzt werden können. Wir brauchen Wissenschaft und Start-ups vor Ort als Treibstoff, um Ideen für Städte zu entwickeln. Und diese wiederum brauchen dafür die Daten, die ohnehin schon vorhanden sind. Im Onlinezugangsgesetz (OZG) ist übrigens festgeschrieben, dass eine Stadt alle Daten, die sie erhebt, öffentlich bereitstellen muss, es sei denn, es spricht etwas dagegen. Letzteres betrifft zum Beispiel Daten zu kritischen Infrastrukturen.

Von Verkehrs- bis hin zu Wetterdaten – welche Themen werden in deutschen Städten aktuell am meisten vorangetrieben?

D. Bethke: Aus meiner Sicht steht aktuell insbesondere das Thema Umwelt im Fokus, das stark mit Nachhaltigkeit und Verkehr zusammenhängt. Bleiben wir beim Beispiel Müllmanagement: Wenn ein Müllfahrzeug für Stau sorgt, ist das weder nachhaltig noch gut für die Umwelt. Darüber hinaus gibt es meiner Meinung nach, gerade nach dem letzten Sommer, keine deutsche Stadt mehr, die sich nicht in irgendeiner Form mit den Themen Bodenfeuchte oder Grundwasserspiegel auseinandersetzt. Ein zweites wichtiges Thema ist die Sicherheit. Dabei geht es zum Beispiel um Schutz vor Unfällen, die Sicherheit von Besuchern bei Großveranstaltungen oder auch die Sicherheit auf Schulhöfen und Kinderspielplätzen.

Für Smart-City-Konzepte braucht es letztlich viele, hochqualitative Daten. Entsteht dadurch nicht viel Datenmüll?

U. Hüther: Wenn man die Daten, die bereits erhoben wurden, mit den Daten, die aktuell gebraucht werden, in Einklang bringt, vermeidet man Datenmüll. Hemmschwelle ist das Datensilo als solches, das nur Einblick auf eine spezifische Lage gibt, aber nicht auf das gesamte, komplexe Szenario. Wenn ich Daten sauber in einem Kontext zusammenführe, wird das sicherlich dazu beitragen, weniger Datenmüll zu produzieren.

J. Sauer: Die Zweckbindung im Sinne der DSGVO hilft ebenfalls dabei, keinen Datenmüll zu produzieren. Im Bereich der Videosicherheitstechnik wird beispielsweise an Tankstellen strikt festgelegt, dass Daten, also Videoaufzeichnungen, drei Tage vorzuhalten sind. Nach drei Tagen muss das System die Daten löschen und überschreiben.

U. Hüther: Der vermehrte Einsatz von digitalen Zwillingen (Digital Twins) führt außerdem dazu, dass Rohmodelle getestet werden, bevor sie überhaupt zum Laufen kommen. Auf diese Weise vermeidet man in einer intelligenten Stadt schon im Vorfeld Fehler zu begehen, weil man Modelle schon vorab an digitalen Zwillingen erprobt hat.

M. Gerz: Datenqualität ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Es muss sichergestellt werden, dass Daten in der richtigen Qualität erfasst werden. Entscheidend ist auch ein guter Daten-Mix. Beispiel Wetterdaten: Es sind Daten aus unterschiedlichen Stadtteilen und unterschiedlicher Höhe vonnöten, um letztlich repräsentative Daten zu erhalten. Bei der Community, die sich mit Datenauswertung beschäftigt, ist diese Thematik bekannt. Andere Stakeholder müssen entsprechend sensibilisiert werden.

D. Bethke: Die Frage ist auch generell, was Datenmüll ist. Beispielsweise könnte der Überfluss an Touristenfotos im Netz Datenmüll sein. Wenn dann aber jemand mit neuen Methoden und Werkzeugen kommt und aus genau diesen Daten einen Schatz macht, ändert sich die Lage. Oft entscheidet sich erst später, welche Daten wirklich gebraucht werden.

Um Smart-City-Konzepte weiter voranzutreiben, bleibt folgendes essenziell wichtig: Wir müssen alle Beteiligten, insbesondere die Bürger, aufklären und ihnen den Nutzen von intelligenten Technologien in Städten transparent übermitteln. Big Data darf dabei nur zum vorher definierten Zweck erhoben werden, um sicherzustellen, dass weder Datenmüll noch Datenmissbrauch entsteht.

Moderation: Prof. Dr. Clemens Gause

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