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Dr. Oswald Hager im Interview

»Wir wollten auf eigenen Beinen stehen«

Quelle: Hager
Quelle: Hager
Es gibt wenige Zeitzeugen, die unsere Branche über einen so langen Zeitraum beobachten und begleiten konnten wie Dr. Oswald Hager. Am 16.11.2016 wird er 90 Jahre alt – und ist immer noch im Unternehmen aktiv. Grund genug für uns, mit ihm im Rahmen eines Interviews auf die bewegte Geschichte zurückzublicken.

»de«: Sie haben das Unternehmen »Hager oHG elektrotechnische Fabrik« 1955 zusammen mit Ihrem Bruder Hermann und Ihrem Vater Peter gegründet. Was war der Auslöser für den Schritt in die Selbständigkeit?

Oswald Hager: Wir wollten auf eigenen Beinen stehen. Unser Vater war etwa 30 Jahre lang mit seinen beiden Schwagern Gesellschafter bei Gebrüder Schmitt. Das Unternehmen hatte sich aus kleinen Anfängen heraus etabliert. Aus einem eher handwerklich geprägten Betrieb war ein Unternehmen mit 150 Mitarbeitern geworden. Aber jetzt wollte er endgültig auf eigenen Beinen stehen.

»de«: Im Vergleich zu anderen Herstellern der Branche ist Hager ein vergleichsweise junges Unternehmen, hat aber mit derzeit 1,9 Mrd.€ Umsatz und 11 650 Mitarbeitern dennoch die meisten Wettbewerber deutlich überholt. Woran liegt das?
Daniel Hager und Dr. Oswald Hager auf der Light + Building 2016; Quelle: Stephan Falk, www.baubild.com
Daniel Hager und Dr. Oswald Hager auf der Light + Building 2016; Quelle: Stephan Falk, www.baubild.com
Oswald Hager: Auch wir hatten auf dem Weg dahin die unterschiedlichsten Situationen zu meistern. Ein Beispiel 1959: die Rückgliederung des Saarlandes hatte unter anderem zur Folge, dass viele saarländische Unternehmen schließen mussten. Der französische Absatzmarkt fiel durch die neue Zollgrenze vollkommen weg und in Deutschland war Hager bislang unbekannt. Wir waren gezwungen, uns neue Wege für den Absatz unserer Produkte zu suchen und haben 1959 eine neue Zählertafel auf der Hannover Messe vorgestellt. Auch waren wir die ersten in der Branche, die einen Zählerschrank auf den Markt gebracht haben. Mit diesen Aktivitäten wurden schon recht früh die Grundlagen für unseren nachhaltigen Erfolg gelegt.

Es gibt schon noch genügend größere Wettbewerber als Hager, das muss man auch sagen. Aber warum haben wir uns so entwickelt? Weil wir immer auf den Markt und den Kunden gehört haben. Für ihn haben wir die Angebote systematisch entwickelt. Wir haben unser Angebot stetig erweitert, uns die Märkte erarbeitet und auch die internen Strukturen und Prozesse ganz gezielt aufgebaut. Wir haben gute Mitarbeiter gewonnen und entwickelt. Und wir haben unsere Mittel immer reinvestiert. Wir sind nicht nur organisch gewachsen, uns sind auch gute Akquisitionen gelungen. Wir wollten stets eigenständig und unabhängig sein, auch finanziell – auch das haben wir geschafft. Und natürlich hatten wir das Quäntchen Glück, das man braucht. Der Erfolg hat viele Väter.

»de«: Die Anzahl der Hersteller von Elektroinstallationsprodukten sowie der eigenständigen Elektrogroßhändler ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Erwarten Sie, dass sich dieser Konzentrationsprozess fortsetzt?

Oswald Hager: Leider ja. Das ist der Zug der Zeit: Systemangebot statt Komponenten, globale Märkte statt lokale Präsenz. Das erfordert moderne Strukturen, unternehmerische Fähigkeiten, Mut und auch die finanziellen Möglichkeiten, die Entwicklung erfolgreich zu gestalten. Ich glaube, es wird auf absehbare Zeit immer zwei Anbieter geben: den Spezialisten, der in einer Nische seinen Platz findet und seine Erfahrung hat und das global agierende Unternehmen, in dem neben den Produkten auch der Bereich Service eine wichtige Rolle spielt.

»de«: Sie waren schon früh in Frankreich und Deutschland präsent und haben das Zusammenwachsen Europas von Anfang an miterlebt. Ist uns heute überhaupt bewusst, was ein vereintes Europa wirklich bedeutet, und setzt Europa dies gerade aufs Spiel?

Oswald Hager: Wir sind schon seit über 60 Jahren in Frankreich als eigenständige Unternehmer aktiv. Als wir in Frankreich begonnen haben, gab es die Römischen Verträge noch nicht. Was die Politik und die Bürger in Europa geschaffen haben, ist bei aller manchmal auch berechtigten Kritik im besten Sinne friedensfördernd. Ein gezieltes Zusammenwachsen bei Wahrung der individuellen Besonderheiten und mit Respekt und Anwendung gleicher Regeln und Grundsätze ist nach meiner Überzeugung der einzige gangbare und sinnvolle Weg. Gerade wir in Europa sollten aus unserer Vergangenheit die Lehren ziehen.

»de«: Das Thema Unternehmensnachfolge betrifft Handwerksbetriebe ebenso wie Hersteller. Bei Hager scheint das weitgehend geräuschlos funktioniert zu haben. Gibt es dafür ein Erfolgsrezept?

Oswald Hager: Ja, das gibt es und es ist sehr einfach. Zum einen braucht es den geeigneten, interessierten und willigen Nachfolger. Und zum anderen braucht es denjenigen, der Vertrauen hat und loslassen kann. Auch bei uns hat es seine Zeit gebraucht. Und wir haben die Geduld gehabt, bis wir den Generationenwechsel vollziehen konnten. Es ist für ein Familienunternehmen auch keine Schande, temporär mit einem Fremdmanagement zu arbeiten. Das haben wir über viele Jahre erfolgreich getan. Am Ende ist es aber nicht nur eine Frage der Führung des Unternehmens, es geht auch um den Übergang von Gesellschaftsanteilen, die gut geregelt sein muss, um für die Zukunft wettbewerbsfähig aufgestellt zu sein.

»de«: Wenn Sie die Geschichte der Elektrotechnik in den vergangenen Jahrzehnten Revue passieren lassen – was waren aus Ihrer Sicht prägende Ereignisse?

Oswald Hager: In den letzten Jahren hat das Thema Strom in der öffentlichen Wahrnehmung einen größeren Raum eingenommen. Unsere Branche profitiert davon enorm. Es gibt drei Punkte, die ich hier hervorheben möchte:
2014 erhielt Dr. Oswald Hager den E-Markenpartner-Ehrenpreis des ZVEH als Unternehmer­persönlichkeit; Quelle: ZVEH
2014 erhielt Dr. Oswald Hager den E-Markenpartner-Ehrenpreis des ZVEH als Unternehmer­persönlichkeit; Quelle: ZVEH
Erstens einmal der technische Fortschritt – allen voran die Digitalisierung. Sie hat Möglichkeiten geschaffen, die das Produkt und auch die Lösungsangebote verändert haben. Solche Themen wie Smart Home oder barrierefreies Leben und Wohnen wären ohne die neuen Technologien nicht denkbar. Der technische Fortschritt hat auch Geschäftsmodelle beeinflusst und verändert. Und er hat dazu beigetragen, dass die Endverbraucher die Elektrotechnik jetzt ganz bewusst erleben. In den Zukunftsüberlegungen unserer Branche wird die technologische Entwicklung eine große Rolle spielen, davon bin ich überzeugt.

Der zweite Punkt ist die Liberalisierung der Strommärkte und die Energiewende. Für die Elektrobranche bringt das neue Herausforderungen mit sich, die sie in dieser Form noch nicht erlebt hat. Und der rechtliche Rahmen ist ja nicht fix, sondern bewegt sich noch. Das erfordert kluges unternehmerisches Handeln.

Der dritte Punkt, den ich nennen möchte, ist die Elektromobilität. Das ist eine neue Form der Mobilität, die das Verhältnis von Haus und Auto verändert. Beide wachsen mehr zusammen.

»de«: Einerseits wird die Technologie ­immer komplexer, und der Vernetzungsgrad steigt. Andererseits greifen Plug&Play-­Lösungen weiter um sich. Welchen Stellenwert hat vor diesem Hintergrund das Thema Schulung bzw. Weiterbildung für das Elektrohandwerk?

Oswald Hager: Auch wenn Plug&Play-Lösungen einfach scheinen, sind sie ja nur Teil eines Gesamtkonzeptes. Für uns war es immer enorm wichtig, kundenorientiert zu arbeiten. Und Lösungen aus einer Hand anzubieten. Deshalb setzen unsere Weiterbildungsmaßnahmen genau bei diesem Gesamtkonzept an: Wir wollen dem Elektrohandwerk helfen, bei der Beratung der Kunden und beim Einsatz der Produkte und Lösungen möglichst flexibel vorgehen zu können.

»de«: Unter anderem durch die Digitalisierung scheinen die Grenzen zwischen Elektroindustrie, Elektrogroßhandel und Elektrohandwerk zu verschwimmen. Erwarten Sie, dass der klassische dreistufige Vertriebsweg langfristig in derzeitiger Form bestehen wird?

Oswald Hager: Die Digitalisierung hat ja nicht nur Chancen zu bieten, sie bringt auch Risiken mit sich. Das gilt für die Industrie genauso wie für den Handel und das Handwerk. Aber wenn jeder sich auf seine Stärken konzentriert und in der Lage ist, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen, kann das Modell der Dreistufigkeit auch in Zukunft erfolgreich sein. Dabei wird man sicher auch akzeptieren müssen, dass die Grenzen nicht mehr so verlaufen, wie sie einmal waren oder heute sind – im Vordergrund wird der Lösungsansatz stehen. Und es kann auch sehr gut sein, dass Probleme entstehen, die man dann pragmatisch angehen muss. Und mit Vertrauen – ohne gegenseitiges Vertrauen werden wir die Zukunft nicht gemeinsam gestalten können.

»de«: Die Baubranche erlebt derzeit ein konjunkturelles Hoch. Wird diese Boomphase aus Ihrer Sicht noch länger Bestand haben?

Oswald Hager: Ja, davon bin ich fest überzeugt – aus mehreren Gründen. Einerseits gibt es Bedarf an guten neuen Wohnungen, die zeitgemäß gebaut und ausgestattet sind. Auf der anderen Seite ist auch der Renovierungsbedarf groß, gerade in Europa, wo viele Häuser und Wohnungen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden und dem heutigen Standard in keiner Weise entsprechen. Auch die Flüchtlingsthematik spielt eine große ­Rolle – die Nachfrage nach Wohnraum steigt.

»de«: Herr Dr. Hager, vielen Dank für das Gespräch.
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Über den Autor
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Dipl.-Ing. Andreas Stöcklhuber

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