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Schäden erkennen und vermeiden

Ausfall durch mangelhafte Gummirezeptur

Ausfall durch mangelhafte  Gummirezeptur
(Bild: frog - stock.adobe.com)

Dichtungen werden aus den verschiedensten Gründen in der Praxis geschädigt. Neben dem Erkennen der Schadensursache werden dann mögliche Abhilfemaßnahmen wichtig – für die Instandhaltung, aber auch bereits bei der Erstausrüstung von Anlagen mit Dichtungen.

Eine schlechte Rezepturqualität bedeutet, dass der Konstrukteur bzw. Entwickler im Prinzip die richtige Auswahl des benötigten Elastomers getroffen hat, jedoch eine Werkstoffausführung erhält, die nicht dem Stand der Technik entspricht. Eine schlechte Mischungsrezeptur kann mehr als die Hälfte aller häufigen Schadensmechanismen von Gummidichtungen auslösen. Wegen der vielen Freiheitsgrade bei der Rezepturgestaltung kann das Thema letztlich jede Polymerfamilie betreffen, bei EPDM-Elastomeren treten rezepturbedingte Probleme aber mit Abstand am häufigsten auf, weshalb sich die folgenden Beispiele auf diese Werkstoffgruppe beziehen.

Bild 1: Der EPDM-O-Ring ist durch eine stattgefundene Weichmacherextraktion um 15 Vol.-% geschrumpft und hat dadurch in der Härte von 80 auf 95 IRHD, M zugenommen.
Bild 1: Der EPDM-O-Ring ist durch eine stattgefundene Weichmacherextraktion um 15 Vol.-% geschrumpft und hat dadurch in der Härte von 80 auf 95 IRHD, M zugenommen.

In der Praxis tauchen immer wieder Schäden an EPDM-Dichtungen auf, deren Rezepturen Weichmacheranteile von 15 bis 40 % aufweisen – mit entsprechenden Folgen. So kann es in Anwendungen zu einer Extraktion (Bild 1) und/oder einem Ausgasen (begünstigt durch hohe Temperaturen) kommen. Der daraus folgende Schrumpf der Dichtung kann zu Leckagen führen.

Es ist allgemein bekannt, dass schwefelvernetzte EPDM-Werkstoffe schlechtere Druckverformungsreste als peroxidisch vernetzte aufweisen. Bei schwefelvernetztem EPDM für den Heißwassereinsatz (max. 75 °C) kann eine übermäßig hohe und für die Anwendung kritische bleibende Verformung bereits nach ein bis zwei Jahren auftreten. Reines EPDM ist eigentlich sehr gut ozonbeständig. Liegt aber ein Verschnitt von EPDM mit SBR oder NR vor (was nicht immer deklariert wird), können sich bei entsprechender Beanspruchung Ozonrisse bilden (Bild 2).

 

Bild 2: Ozonrisse einer EPDM-Kabeldurchführung. Ursache: Die Rezeptur besteht aus einem Verschnitt von EPDM und NR. Eine Bestellbezeichnung »EPDM« schließt dies nicht aus.
Bild 2: Ozonrisse einer EPDM-Kabeldurchführung. Ursache: Die Rezeptur besteht aus einem Verschnitt von EPDM und NR. Eine Bestellbezeichnung »EPDM« schließt dies nicht aus.

Bei EPDM-Werkstoffen im Heißwasserkontakt kann es zu Problemen kommen, wenn nicht heißwassertaugliche Füllstoffe eingesetzt werden. Bei der Verwendung hydrophiler Füllstoffe kann es zu einer starken Quellung und/oder einer Autooxidation durch Verunreinigungen in den Füllstoffen kommen (Bild 3).

Schadensbild und problematische Bereiche: Die Schadensbilder können sehr vielfältig sein. Oft findet man eine hohe bleibende Verformung und/oder einen Schwund und eine starke Härtezunahme. Letztlich gibt es aber kaum einen Schadensmechanismus, der nicht durch eine schlechte Rezepturqualität hervorgerufen werden kann, wie die Beispiele (Bilder 1 bis 3) zeigen.

Bild 3: EPDM-Werkstoff für den Lebensmitteleinsatz, der durch ungeeignete Füllstoffe bei der Dampfsterilisation angequollen und im Randbereich sogar depolymerisiert wurde.
Bild 3: EPDM-Werkstoff für den Lebensmitteleinsatz, der durch ungeeignete Füllstoffe bei der Dampfsterilisation angequollen und im Randbereich sogar depolymerisiert wurde.

Abgrenzung zu ähnlichen Schadensbildern: Dies erfordert profunde Kenntnisse über den Stand der Technik bzgl. Rezepturqualität, verbunden mit anwendungstechnischem Wissen. Das bedeutet letztlich, dass man bei jeder Schadensanalyse zunächst überprüfen sollte, ob ein schlechter Stand der Technik allein schon das gefundene Schadensbild erklärt, bevor man von einer unzulässigen thermischen, chemischen oder physikalischen Beanspruchung als Ursache ausgeht.

Präventionsmaßnahmen: Ein Dichtungsanwender kann den Stand der Technik – der durch Eigenschaftsprofile von Elastomercompounds wiedergegeben wird – auf verschiedenen Wegen herausfinden. Häufig werden die Eigenschaftsprofile von Standardmischungen großer Dichtungshersteller (z.B. NBR 70, FKM 70-80, EPDM 70, VMQ 70, HNBR 70 usw.) als Referenz genommen. Aktuelle Werkstoffspezifikationen großer Konzerne können ebenfalls eine hilfreiche Quelle sein. Nachteilig ist jedoch, dass diese i.d.R. nicht frei zugänglich sind. Für Dichtungsanwendungen wird der Stand der Technik gut in den Vorgaben der ISO 3601-5 wiedergegeben. Da es sich bei ISO-Normen um Vorgaben handelt, die in einem Konsensverfahren eines internationalen Gremiums erstellt werden, kann man daher von dem Stand der Technik zum Zeitpunkt der Erscheinung ausgehen.

Letztlich ist es natürlich am sichersten, wenn man im eigenen Hause einen oder mehrere Dichtungs- bzw. Elastomerspezialisten hat. Eine ausreichende Qualifikation mit Gummifachwissen ist eine wichtige Voraussetzung dafür, um anwendungsbezogen angemessene Vorgaben für die erforderliche Rezepturqualität zu definieren. Praxistipps (Prüfmöglichkeiten / Normempfehlungen): Die O-Ring-Norm ISO 3601-5 kann in zahlreichen Standardanwendungen – nicht nur bei O-Ringen – eine hilfreiche Richtschnur bzw. Grundlage für Bestellungen sein. Bei Rezeptur- oder Lieferantenwechsel ist eine gründliche Prüfung bzw. ein Vergleich mit dem aktuellen Zustand unerlässlich.

Fragen an Bernhard Richter

Bernhard Richter

Bernhard Richter (Bild), Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau, ist Mitbegründer der O-Ring-Prüflabor Richter GmbH (www.o-ring-prueflabor.de) und Experte in Sachen Dichtungen und elastomere Werkstoffe. In zahlreichen Veröffentlichungen, wie beispielsweise der Zeitschrift »DICHT!« der Mannheimer Isgatec GmbH  oder auch den Seminaren seines Prüflabors, vermittelt er Anwendern und Interessenten immer wieder komplexe Zusammenhänge in verständlicher Sprache. Wir trafen uns zu einem Gespräch.

»ema«: Herr Richter, mittlerweile ist das O-Ring Prüflabor Richter 25 Jahre am Markt. Mit welcher Geschäftsidee haben Sie begonnen?

B. Richter: Bei der Gründung 1996 hatten wir die Grundidee, Wareneingangsprüfungen für O-Ringe anzubieten, da sich bereits klar Spannungsfelder bezüglich der Qualität im Rahmen der Globalisierung zeigten. Aber schnell hat sich herausgestellt, dass der weitaus größere Markt in anspruchsvollen Qualifikationsprüfungen, in der Schadensanalyse und im Schulungsbereich sowie einer unabhängigen Beratung liegt.

»ema«: Inzwischen hat sich Ihr Leistungs-Portfolio um einige Angebote ausgedehnt. In welchen Bereichen sehen Sie heute Ihren Schwerpunkt?

B. Richter: Umsatzmäßig betrachtet liegt unser Schwerpunkt eindeutig im Prüfungsbereich, das heißt in Qualifikations- und Beständigkeitsprüfungen. Die Einführung der Digitalisierung in Laborabläufe und QS-System hat uns geholfen, unsere Abläufe kontinuierlich zu verbessern und damit auch die Belastbarkeit unserer Prüfergebnisse. Beratung und Schulung haben sich aber ebenso weiterentwickelt, und die Königsdisziplin bleibt die Schadensanalyse.

»ema«: Nur wenige machen sich Gedanken darüber, welche Folgen eine stark gealterte Dichtung haben könnte. Was war Ihr spektakulärster Fall?  

B. Richter: Erst kürzlich waren wir in einer Schadensanalyse aus der Automobilindustrie involviert, wo der Gesamtschaden von unserem Auftraggeber mit 50…100 Mio. € beziffert wurde. Das ist glücklicherweise ein Ausreißer. Aber Schäden in der Größenordnung einstelliger Millionenbeträge gehören zum Tagesgeschäft.

»ema«: Die Entwicklung der Werkstoffe im Bereich von Dichtungen geht immer weiter. Gibt es Ihrer Meinung nach eine Tendenz, wohin die Reise geht? Benötigen wir »modernere« Werkstoffe, die auch in Zukunft den Anforderungen genügen? Welche könnten das sein?

B. Richter: Wir haben moderne, das heißt den aktuellen Anforderungen angepasste EPDM-, VMQ-, FKM- oder FFKM-Werkstoffe, z. B für die e-Mobility, für mehr Lebensdauer in der Windkraft oder optimierte Beständigkeiten in neuen Schmierstoffen oder in der Prozesstechnik, sozusagen für die »High-End«-Anwendungen.  Aber bei vielen Standard-Anwendungen spart man sich kaputt indem man unqualifiziert spezifiziert und beschafft.

Das heißt, weiterhin sehe ich die Herausforderung darin, die Dichtung im Bewusstsein der Anwender generell höher zu priorisieren, um das vorhandene technische Potential des Marktes auch ausschöpfen zu können. Und das möglichst in allen involvierten Fachabteilungen, beim Einkäufer, beim Entwickler, beim Versuchsingenieur und beim Qualitätssicherer bis zum verantwortlichen Entscheider.

Und da werden wir auch weiterhin aktiv sein und unser bereits gut eingeführtes Schulungsangebot weiter ausbauen: Ab 2022 bieten wie Webinare »on demand« an, das heißt professionell aufbereitetes Wissen zu allen essentiellen Punkten einer soliden Dichtungsauslegung – für Einsteiger und Experten – jederzeit verfügbar.

»ema«: Herr Richter, vielen Dank für das Gespräch.

Glossar

  • EPDM: Steht für Ethylen-Propylen-Dien-(Monomer)-Kautschuk, einer Stoffklasse hochwertiger Kunststoffe bzw. synthetischer Kautschuke
  • SBR: Styrol-Butadien-Kautschuk) gehört zu der Gruppe der Elastomere – beim SBR-Gummi handelt es sich um ein universell einsetzbares Gummi
  • NR: Natur-Kautschuk
  • NBR: Steht für »Nitrile Butadiene Rubber« und wird im Deutschen als Acrylnitril-Butadien-Kautschuk bezeichnet (Nitrilgummi)
  • FKM: Misch-Polymerisat aus hochfluoriertem Kohlenwasserstoff
  • VMQ: Silikon-Kautschuk
  • HNBR: Abkürzung für Hydrierter Acrylnitril-Butadien-Kautschuk

Ausführliche Informationen zu den Werkstoffen erhalten Sie unter: https://www.isgatec.com/rubrik/werkstoffkompass/5396

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Über die Autoren
Autorenbild
Dipl.-Ing. Bernhard Richter

O-Ring Prüflabor Richter GmbH, Großbottwar

Autorenbild
Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Blobner

O-Ring Prüflabor Richter GmbH, Großbottwar

Über die Firma
ISGATEC GmbH
Mannheim
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